„Feind im rechten Graben!“, brüllt der ukrainische Soldat, während hundert Meter weiter eine Artilleriegranate einschlägt. Er schießt, geht hinter einem verkohlten Baum in Deckung. Wo auch immer seine Helmkamera hinsieht: verkrüppelte Baumruinen, von Abertausenden Granaten umgepflügte Erde, schlammigen Lehmboden. Und immer wieder angreifende russische Soldaten, die der Ukrainer bekämpft.
Satellitenbilder zeigen: An der ehemaligen Verbindungsstraße zwischen Khromove und dem Nordwesten Bachmuts sieht es über Kilometer so aus, wie in diesem Video gezeigt. Auch ähnliche Videos von russischer Seite vermitteln dasselbe Bild, Zehntausende Kämpfer beider Seiten sind in und um Bachmut in den vergangenen Monaten gestorben, während die russischen Streitkräfte - allen voran die Söldnergruppe Wagner - langsam aber sicher im Zentrum weiter vorrücken.
Erst vergangenen Freitag hatte deren Chef, Jewgeni Prigoschin, angekündigt, seine Söldner bis Mittwoch abzuziehen. Der Grund: Das russische Verteidigungsministerium liefere keine Munition. Es scheint als habe er diese Kraftprobe mit Verteidigungsminister Sergei Schoigu gewonnen - Munition sei unterwegs. Allerdings beschwerte sich Prigoschin just am "Tag des Sieges", dass russische Einheiten, die zum Schutz seiner Flanken eingesetzt wurden, fliehen würden. Die Kraftprobe scheint noch nicht beendet - dennoch deutet derzeit alles darauf hin, dass die Wagner-Gruppe sich den "persönlichen Erfolg" der Einnahme Bachmuts nicht mehr nehmen lassen will.
Mehr als 85 Prozent der Stadt sollen bereits unter russischer Kontrolle stehen, die Verteidigung der Khromove-Straße ist der Hauptgrund, dass Bachmut noch nicht aufgegeben wurde. Zu einem hohen Preis:
Auch wenn es keine verlässlichen Zahlen gibt, sind die Verluste auf ukrainischer Seite definitiv hoch. Anderseits werden auch die russischen Streitkräfte bei den Angriffen auf die gut befestigten Stellungen stark abgenutzt. Versorgungsfahrzeuge fahren auf der Khromove-Straße seit Wochen keine mehr – die russischen Streitkräfte können mit ihrer Artillerie in diesem Bereich alles unter Beschuss nehmen.
Dazu kommen laut russischen Bloggern sogenannte „FAB-Bomben“, modifizierte Freifallbomben aus dem Zweiten Weltkrieg, die den ukrainischen Stellungen massiven Schaden zufügen sollen. Verifiziert ist nur, dass solche Bomben bereits in der Ukraine eingesetzt wurden, wo, ist allerdings unklar.
Seit Jänner raten die USA der Regierung in Kiew, dass Bachmut aufgegeben werden sollte, um eigene Verluste zu minimieren. In einem der kürzlich veröffentlichten Leaks wurde davor gewarnt, dass die vorrückenden russischen Truppen seit November die Fähigkeit der Ukraine, die Stadt zu halten, gefährden. Die Soldaten seien daher „der Gefahr einer Einkreisung ausgesetzt, wenn sie sich nicht innerhalb eines Monats zurückziehen.
Russische Einheiten rücken vor
Nach wie vor ist das nicht geschehen, doch die Lage wird aus ukrainischer Sicht immer schlechter. Es gibt noch einen mehr oder minder freien Versorgungsweg vom Ort Ivanivske nach Bachmut, der allerdings auch jederzeit von russischer Artillerie beschossen werden kann. Nehmen die russischen Streitkräfte diese Straße ein, droht den nach wie vor zahlreichen ukrainischen Kämpfern die Einkesselung.
Im Stadtzentrum selbst rücken die russischen Streitkräfte weiter vor, nahmen in den vergangenen Tagen den Bahnhof und die Gleise, die durch die Stadt führen, ein. Russische Fallschirmjäger sollen derweil die beiden Zangenangriffe im Norden und im Süden vor einem etwaigen Gegenstoß schützen, der aufgrund vergangener Regentage unwahrscheinlich ist.
Die Entscheidung, Bachmut weiter zu verteidigen, wird immer wieder mit folgenden Argumenten begründet:
Ein weiterer russischer Vormarsch in Richtung der größeren Städte wie etwa Kramatorsk könne verhindert werden.
Den russischen Truppen würden höhere Verluste zugefügt als die ukrainische Seite erleide.
Die Verteidigung Bachmuts binde russische Truppen, womit eine ukrainische Gegenoffensive im Süden wahrscheinlicher werde. Tatsächlich zeigen Aufklärungsbilder, dass die russische Truppenpräsenz an der Südfront nach wie vor verhältnismäßig gering ist.
Allerdings haben sie dort stark befestigte Verteidigungsanlagen errichtet. Die ukrainischen Kämpfer an der Khromove-Straße können ein Lied davon singen, wie effektiv solche Stellungen sind.
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