Reisner erinnert an die Situation in Sjewjerodonezk im vergangenen Juni: „Die russischen Streitkräfte haben den Kessel nur langsam geschlossen, sodass die Ukrainer immer wieder Verstärkung in die Stadt geführt haben, die man dann mit Artillerie bekämpfen konnte“, sagt der Garde-Kommandant.
Doch es gibt noch einen anderen Faktor. Reisner: „Heute wissen wir, dass die ukrainischen Streitkräfte damals unter hohem politischen Druck standen, die Absetzbewegung möglichst lange hinauszuzögern. Erst im letzten Moment gelang es den Truppen, sich abzusetzen. Vor dieser Wahl stehen die Ukrainer nun wieder“. Sollten sie sich nicht absetzen, verweist Reisner auf die Situation in Mariupol, „wo es die Russen schlussendlich nach langen und intensiven Kämpfen geschafft haben, die Stadt zur Gänze einzunehmen“.
Den politischen Druck, die Stadt zu halten, gibt es laut Reisner auch jetzt. Der Widerstand gegen die russischen Angreifer dauert bereits Monate an, diese Symbolik spiele eine große Rolle.
Doch was würde passieren, fiele Bachmut in die Hände der russischen Streitkräfte? „Man kann gut erkennen, dass die Ukrainer damit begonnen haben, auf den Höhen vier bis fünf Kilometer westlich von Bachmut neue Stellungen zu errichten“, sagt der Generalstabsoffizier.
Die nächste große Verteidigungslinie, die sich anbieten würde, liegt laut Reisner ungefähr 20 Kilometer entfernt von Bachmut (siehe Grafik). Warum? „Weil es hier mehrere kleine Städte gibt, die an dieser Straße liegen und sich gut verteidigen lassen.“
Spätestens in den kommenden Wochen dürften erste Kampfpanzer Leopard 2 erstmals eingesetzt werden – wie wäre ein solcher Einsatz bei Bachmut vorstellbar?„Ziel wird es sein, sie nicht direkt in der Stadt einzusetzen, wo sie gerade im Häuserkampf sehr verletzlich wären. Es könnte eher darum gehen, zu verhindern, dass die Russen den Kessel um Bachmut schließen. Sie also in günstigem Gelände bei einer begrenzten Gegenoffensive einzusetzen“, sagt Reisner.
Derzeit haben allerdings die russischen Streitkräfte die Initiative, greifen an sechs verschiedenen Punkten entlang der gesamten Front verstärkt an. Indes stellt Kiew acht neue Brigaden auf, die im Frühling eine Gegenoffensive starten sollen. Aus Pentagon-Unterlagen wird ersichtlich, dass die USA die Ukraine mit deutlich mehr Minenräum- und Pioniergerät unterstützen. Das könnte ein Indiz dafür sein, dass man die Front in Richtung Süden nach Melitopol durchbrechen und den russisch besetzten Bereich bis zum Asowschen Meer unterbrechen will.
Und dann wäre da noch Transnistrien, das von 1.500 russischen Soldaten besetzt ist. „Das ist natürlich interessant, weil es dort große Munitionslager gibt – aus militärischer Sicht so etwas wie eine Goldmine“, sagt Reisner. Für die Russen wäre es schwierig, sie außer Landes zu bringen. „Beide Seiten werfen einander vor, dass man versucht, in nächster Zeit eine Entscheidung in Transnistrien herbeizuführen. Gleichzeitig brodelt es in Moldau: Es gibt prorussische Demonstrationen, was ein Indiz dafür sein kann, dass es von russischer Seite versucht wird, über hybride Art und Weise Unruhe zu stiften.“
Eine massive militärische Operation der Russen in Transnistrien hält Reisner derzeit für unrealistisch.
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