Wird Prigoschin Putin gefährlich?

Wird Prigoschin Putin gefährlich?
Der Chef der Wagner-Truppen droht mit einem Rückzug aus Bachmut. Es ist eine offene Erpressung, die Risse in Putins System offenbart. Für den Kriegsverlauf könnte das wichtig sein.

Jewgenij Prigoschin sieht immer grimmig drein, wenn er in die Kamera schimpft. Bei diesem Video aber ist grimmig noch freundlich ausgedrückt: „Film’ sie alle“, sagt der Chef der Wagner-Truppen, er zeigt auf Dutzende blutüberströmte Tote, die hinter ihm am Boden liegen. „Sie sterben, damit ihr in euren Büros aus reichem Mahagoni fett werden könnt“, schreit er. Verteidigungsminister Schoigu, Generalstabschef Gerassimow, sie alle seien schuld an den Toten – denn seine Truppen bekämen keine Munition mehr. Am 10. Mai werde er deshalb seine Truppen aus Bachmut abziehen, schreibt Prigoschin danach auf Telegram. „Ohne Munition sind sie zu einem sinnlosen Tod verdammt.“.

Neue Qualität

Prigoschin ist bekannt für seine derbe Wortwahl, auch für Schmipftiraden gegen die russische Führung. Doch dieser Ausbruch hat eine neue Qualität, zumal er erstmals eine offene Drohung enthält. Legt sich Prigoschin mit dem Kreml an? Und was heißt das für den Kriegsverlauf?

Westliche Beobachter sehen Prigoschins Vorwürfe skeptisch. Dass das russische Verteidigungsministerium ihn nicht unterstütze, stimme nicht: „Die 106. Luftlandedivision sichert seit einigen Wochen die Flanken der Wagner-Gruppe im Norden und Süden Bachmuts, gleichzeitig unterstützt die russische Luftwaffe den langsamen Vormarsch innerhalb der Stadt mit Bombardements – und auch der Mehrfachraketenwerfer TOS-1 ist in Bachmut im Einsatz. Er hat also durchaus Unterstützung“, sagt Oberst Markus Reisner vom Bundesheer zum KURIER.

Nur: Was will Prigoschin dann?

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Putins Dreckarbeiter

Der 61-Jährige, der schon seit Jahren die Drecksarbeit für den Kreml erledigt, ist in den vergangenen Monaten zu einem immer lauter werdenden innenpolitischen Akteur in Russland aufgestiegen. Er rühmte sich immer damit, bessere Leute als die reguläre Armee zu haben; russische Experten sind deshalb davon überzeugt, dass er nun einen Sündenbock für sein eigenes Versagen finden will: „Irgendjemand muss für den Leichenberg geradestehen, vor dem er gefilmt wird“, analysiert Politologe Wladimir Pastuchow. Auch Reisner sagt: „Wenn Prigoschin der ist, der er zu sein scheint – ein Mann, der über Leichen geht, um seinen Vorteil daraus zu schlagen – dann macht er hier seine Feinde dafür verantwortlich, dass er es trotz hoher Opfer nicht geschafft hat, das Ziel zu erfüllen.“

Allerdings setzt Prigoschin den Kreml so tatsächlich unter Zugzwang. Zum einen sind Bilder toter Männer, wie er sie in seiner gerade viral gehenden Schmipftirade zeigt, nach wie vor nicht in den russischen Medien zu sehen; auch Zahlen der Gefallenen werden seit Langem nicht mehr kommuniziert. Zum anderen erpresst er mit einer Abzugs-Ansage Putin persönlich: Ein Rückzug aus Bachmut wäre nur mit dem offiziell Ja des Kreml denkbar – sagt Putin zu, würde er seine eigene Schwäche demonstrieren. Sagt er nein und Prigoschin zieht dennoch ab, würde ihn das bloßstellen. Als Option drei bliebe dem Kreml noch, Prigoschin mehr Waffen zur Verfügung zu stellen – doch damit hätte man dem Druck nachgegeben.

Dazu kommt, dass sich Prigoschin mit dem Abzugsdatum ausgerechnet Putins Lieblingsfeiertag ausgesucht hat. „Der Tag des Sieges am 9. Mai ist in Russland extrem symbolisch aufgeladen. Es gab die Direktive, Bachmut bis zu diesem Tag vollständig einzunehmen“, sagt Reisner.

Möglich scheint also, dass Prigoschin nicht nur mehr Waffen, sondern auch mehr Macht will. Innerhalb Russlands machten ihm zuletzt andere, deutlich einflussreichere Player Konkurrenz: Während Prigoschin sich auf kaum Rückhalt bei den Eliten verlassen kann, die ihn für ungehobelt und nicht politikfähig halten, hat etwa Gazprom-Chef Alexej Miller auf den Wunsch Putins kürzlich auch eine Privatarmee aufgestellt – sie macht Prigoschins Söldnern beim Rekrutieren massiv Konkurrenz.

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Evakuierung im Süden

Prigoschins Erpressung kann also auch als Antwort darauf verstanden werden. Allerdings: Zieht er tatsächlich ab, könnte das für den Kriegsverlauf entscheidend sein. Schon jetzt rechnet Moskau offenbar mit einer baldigen Gegenoffensive Kiews; in der Region Saporischschja im Süden wurden die Bewohner am Freitag zur Evakuierung aufgerufen. Fällt Bachmut an die Ukraine, könnte das laut Reisner „eine interessante Wende in diesem Konflikt werden.“ Der symbolisch hohe Sieg würde aber nichts am Abnützungskrieg ändern: „Bachmut liegt auf der zweiten ukrainischen Verteidigungslinie – man käme auf den Urzustand von vor vier bis fünf Monaten zurück.“

Möglich wäre auch, sagt Reisner dass all dies „eine russische Finte“ ist – also eine Absprache zwischen Prigoschin und Putin, um den Gegner zu verwirren Sehen wird man das dann am 10. Mai.

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