„Der Sieg wird unser sein, wie 1945“, sagte Wladimir Putin am 9. Mai vergangenen Jahres. Neben ihm donnerten da mit Sprengköpfen beladene Militärfahrzeuge vorbei, er selbst stand umringt von Weltkriegsveteranen am Roten Platz und lächelte.
In der Ukraine glaubte der Kreml damals noch an einen raschen Sieg. Heute, ein Jahr später, sieht die Sache anders aus. Vor Kurzem feuerten zwei Drohnen auf das Dach des Kreml, es gibt Angriffe auf militärische Versorgungszüge und Luftwaffenstützpunkte. Offiziell ist das zwar alles kein Problem, doch die Nebeneffekte sind für die Bevölkerung durchaus spürbar: Die Siegesparaden am 9. Mai, ein zentraler Baustein in Putins Erzählung von Russland als „Retter des Westens“, werden massiv abgespeckt.
Während man sich in Moskau nach dem Drohnenangriff zu sagen beeilte, alles werde wie gewohnt seinen Gang nehmen, hagelte es in den Grenzgebieten zur Ukraine und in den annektierten Gebieten Absagen – man hütet sich vor zu viel nostalgischem Pomp.
Selbst auf der Krim, wo in den vergangenen Jahren mit besonders viel Aufwand die Übermacht Russlands demonstriert wurde, hat man alles abgeblasen – auch ganz offiziell „aus Sicherheitsgründen“, wie der von den Russen eingesetzte Gouverneur Sergej Aksjonow mitteilte.
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„Peinlich für den Kreml“
In pro-russischen Telegram-Kanälen wird sogar gemutmaßt, dass es Russland an militärisch vorzeigbarem Material wie etwa Panzern fehle, die bei der Parade hergezeigt werden könnten – sie alle seien an der Front oder kaputt.
Hintergrund der Absagen dürften aber nicht Materialprobleme und Sicherheitsbedenken sein: Zwar gibt es mit Ausnahme der Anwürfe Jewgenij Prigoschins (siehe oben) öffentlich wenig Debatten über die hohen Verluste in der Ukraine; in den eigenen vier Wänden der Russen sind die vielen Toten, Verletzten und Vermissten aber durchaus Thema. Für Putin persönlich sind die Absagen – die übrigens sicherlich nicht ohne Placet des Kreml vorgenommen wurden – darum doppelt bitter: Er hat den „Tag des Sieges“ überhaupt erst zu dem monumentalen, identitätsprägenden Feiertag stilisiert, der er heute ist: So wurde Stalin über die letzten Jahre bewusst aus der historischen Verbannung geholt und zum Helden ohne Makel glorifiziert; Russlands Geschichte mehr und mehr behübscht und als Basis für den Krieg instrumentalisiert.
Genau deshalb seien die Paradenabsagen auch „höchst peinlich“ für den Kreml, kommentiert Russlandexperte Peter Dickinson vom US-Think Tank Atlantic Council. Sie würden „auf die düstere Realität hinter der optimistischen Propagandadarstellung“ Moskaus hin weisen. Es gibt „ernsthafte Probleme, die sich selbst in Russlands streng kontrolliertem Informationsumfeld nur schwer verbergen lassen.“
In Moskau haben die Sicherheitskräfte jedenfalls bekräftigt, dass man alles für die Sicherheit der etwa 100.000 feiernden Bürger tun werde, und auch Putin werde seine traditionelle Rede halten, sagte sein Sprecher am Donnerstag. Oppositionsmedien spekulieren aber, dass die spektakuläre Luftshow über dem Roten Platz dennoch ausfallen könnte – weil trainierte Piloten fehlen.
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