Triumph gegen Trump? Sechs Gründe, warum Kamala Harris doch noch scheitern könnte
Das Spendengeld fließt in Strömen, die Umfragen verheißen neue Zuversicht. Im Wahlvolk links der Mitte herrscht Aufbruchsstimmung. Der erste Auftritt mit ihrem neuen Vize-Kandidaten Tim Walz in Philadelphia am Dienstagabend hatte Spuren-Elemente der Euphorie aus den frühen Obama-Jahren.
In nicht einmal drei Wochen hat US-Vizepräsidentin Kamala Harris dank des abrupten Kandidaturverzichts von Amtsinhaber Joe Biden die Schlussphase des amerikanischen Präsidentschaftswahlkampfes völlig neu konfiguriert. Kurz vor dem 250-jährigen Bestehen der Vereinigten Staaten scheint die Aussicht auf die erste Präsidentin in der Geschichte der Supermacht für manche zum Greifen nahe.
Eine Garantie für den Sieg am 5. November gegen den republikanischen Herausforderer Donald Trump ist das aber beileibe nicht.
David Axlrod, früherer Chefberater von Präsident Barack Obama, charakterisiert den Höhenflug der 59-Jährigen als "irrationalen Überschwang". Sechs große Stolpersteine liegen der demokratischen Präsidentschaftskandidatin im Weg.
- Die Fakten
Harris hat seit dem Rückzug Bidens die Umfragenlandschaft verändert, das stimmt. Wo Amtsinhaber Biden national wie auch in den voraussichtlich sechs bis sieben wahlentscheidenden Bundesstaaten von Nevada bis Michigan seit Monaten konstant und teilweise deutlich hinter Trump rangierte, sind die Abstände deutlich geringer geworden; hie und da liegt sie sogar marginal in Front. Allein, nimmt man alle seriösen Befragungen derzeit zusammen, liegt Trump bis in den Schlüssel-Bundesstaat Pennsylvania nach wie vor vorn. Selbst ein eindeutiges Kopf-an-Kopf-Rennen ist heute noch nicht auszumachen. Harris mag seit Tagen einen Nachrichten-Zyklus nach dem anderen gegen Trump gewinnen; die harten Zahlen der Meinungsforschung spiegeln bisher nicht, dass sie bereits in der Pole-Position ist oder diese alsbald erreichen wird.
Die außenpolitischen Unwägbarkeiten
Ein vom Iran angezettelter Krieg gegen Israel und mögliche Folgen für den gesamten Nahen Osten oder eine dramatische Verschlechterung der Lage für die Ukraine im Abwehrkrieg gegen Russland kann die latente Unwilligkeit im US-Wahlvolk verstärken, sich weiter geopolitisch zu engagieren. Eine Position, mit der Trump und sein Vize J.D. Vance erfolgreich auf Stimmenfang im konservativen Lager gehen. Harris ist – weil Vize-Präsidentin – gezwungen, die Politik Bidens bis auf Weiteres mitzutragen.
- Die Wirtschaft
Der temporäre Börsenabsturz zu Beginn dieser Woche gepaart mit vergleichsweise mickrigen Zahlen bei der Neubeschäftigung und nach wie vor hohen Verbraucherpreisen sowie Kreditzinsen hat die Sorge vor einer möglichen Rezession in den USA deutlich verstärkt. Plus-Faktoren wie höhere Löhne, im internationalen Vergleich starkes Post-Corona-Wirtschaftswachstum und eine gesunkene Inflation verblassen vor der Forderung an die Notenbank Federal Reserve, sie möge endlich die Leitzinsen senken.
Dass Trump in Umfragen beständig häufiger zugetraut wird, die US-Wirtschaft insgesamt besser gestalten zu können als ein(e) Demokrat(in), ist eine Tatsache, an der bisher nichts vorbeiführt. 45 Prozent sagten am Wochenende, sie fühlten sich bei Trump besser aufgehoben. Nur 25 Prozent sehen die ökonomische Steuerung der Supermacht bei Harris in den besseren Händen. Die gelernte Juristin muss gemeinsam mit ihrem Vize Tim Walz die dominierende "Erzählung" über die Lage von Millionen von Wählern komplett neu stricken, um dieses Misstrauen auszugleichen.
Die Wahl-Arithmetik
Kamala Harris hat zweifelsohne zwei wichtige Wählergruppen – junge Wähler und Afro-Amerikaner – neu elektrisiert. Beide Segmente hatten die Biden-Präsidentschaft teilweise mit Lethargie oder offener Ablehnung begleitet. Ob sich dies im November an der Wahlurne bestätigen wird, ist ungewiss. Umfragen hierzu geben den Demokraten bisher keine belastbaren Grund zuversichtlich zu sein. Eher im Gegenteil: Gewann Joe Biden 2020 noch 83 Prozent der "schwarzen Stimmen", so rangiert Harris heute bei knapp 53 Prozent; obwohl Trump zuletzt mehrfach durch rassistisch gefärbte Äußerungen über die ethnische Identität von Harris für Empörung sorgte.
Dazu kommt: Weiße, schlechter gebildete Arbeiter, die 2008 noch zur großen "Obama-Koalition" zählten, sind nach Stand der Dinge an die rechtspopulistische MAGA-Bewegung von Trump verloren gegangen. Harris muss sie, gemeinsam mit Frauen und Müttern aus den Vorstädten, zurückgewinnen.
Der Gegner
Donald Trump ist in der Defensive. Daher sein zuletzt wüstes, rhetorisches, teils rassistisches Umsichschlagen, das mit dem Versprechen auf dem Parteitag in Milwaukee, Amerikaner zu versöhnen, auf Kriegsfuß steht. Weder er persönlich noch seine Kampagne lassen bisher klar erkennen, wie und wo sie den Hebel ansetzen werden, um eine knapp 20 Jahre jüngere Frau und ihren volkstribunhaften, bodenständigen Begleiter Tim Walz aus der Balance zu bringen. Das muss nicht so bleiben.
Trump hat seit 2016 mehrere politische Tode (Sexistisches Geprahle, Amtsenthebungsversuche, Strafverfahren und zuletzt sogar einen Mordanschlag) überlebt. Mit milliardenschweren Wahlkampf-Geldgebern und "social media"-Giganten wie X-Boss Elon Musk im Rücken kann der Ex-Präsident bis Anfang September wieder in Vorderhand gelangen. Dann bleiben noch knapp neun Wochen bis zur Wahl, um eine für breite Wählerschichten akzeptable Balance zwischen inhaltlicher Attacke und persönlichem Angriff gegen Harris zu finden. Sollte Trump die in öffentlichen TV-Debatten nicht erprobte Vize-Präsidentin in ähnliche Schwierigkeiten bringen, wie ihm dies gegen Joe Biden gelungen ist, könnte der Stern von Kamala Harris schnell sinken. Umgekehrt gilt: Argumentiert Harris den egozentrischen Politik-Entertainer mit Hang zum Despotischen lächelnd an die Wand, wäre Trump wohl am Ende.
Der wahlentscheidende Grund
Abtreibung, Israel/Gaza, Ukraine/Russland hin oder her – ohne substanzielle Stimmen aus dem weißen, weniger gut gebildeten Arbeiter-Milieu im "rust belt" des Mittleren Westens wird Kamala Harris nach Lage der Dinge das Ruder nicht herumreißen. Dazu muss sie den Eindruck vermeiden, sie sei ein liberales Westküsten-Geschöpf, dem im Zweifelsfall die Zukunft von Transgender-Athleten im Sport wichtiger ist als die Abmilderung industrieller Strukturreformen, die unter demokratischer Führung Hunderttausenden Amerikaner die wirtschaftliche Existenz genommen haben. An diesem Knackpunkt hängt die Wahl.
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