"Sie ist das bunte Schmelztiegel-Amerika": Was Wähler über Kamala Harris denken
"Aufbruchsstimmung mit gemischten Gefühlen." So beschreibt der 43-jährige IT-Dienstleister Malcolm Galway seinen Gemütszustand nach dem Eil-Tempo-Wechsel bei der demokratischen Präsidentschaftskandidatur von Joe Biden hin zu seiner Vize-Präsidentin Kamala Harris.
Für Galway war es bis Sonntag ausgeschlossen, im November für den Amtsinhaber noch für dessen republikanischen Herausforderer Donald Trump zu stimmen. "Ich mag größtenteils Bidens Arbeit, aber er ist einfach viel zu alt", sagte der Mann aus Bethesda/Maryland bei einem Besuch der Einkaufsmeile Montgomery Mall nördlich der Hauptstadt Washington. "Und Trump, oh mein Gott, dazu ist wirklich alles gesagt. Er ist gefährlich. Er darf nicht wieder ins Weiße Haus."
Mit Harris, die sich bis Montagabend in Windeseile schon vor dem Nominierungs-Parteitag in vier Wochen in Chicago die Rückendeckung einer Mehrheit der rund 4000 Delegierten gesichert hat, habe man "nun eine Person vor sich, über die es sich ernsthaft nachzudenken lohnt. Sie verkörpere "das bunte Schmelztiegel-Amerika". Das allein sei schon viel Wert. "Ich bin noch sehr vorsichtig. Aber ungeachtet des Wahlausgangs könnte Demokratie wieder Spaß machen."
Roger (54), Uni-Professor in Washington, ehedem republikanischer Wähler, begrüßt, dass jetzt wenigstens der "Mehltau" weg ist, der "über diesem furchtbaren Wahlkampf lag". Er beschreibt sich als "Doppel-Hasser", der Trump wie Biden gleichermaßen ablehnt. Dass nun eine 20 Jahre jüngere Frau auftaucht und Trump die Stirn bieten wird, lasse ihn wieder "ein wenig an die Selbstheilungskräfte Amerikas glauben".
Vor allem Parteiunabhängige und noch unentschlossene Wähler hätten nun wieder einen Grund, "genauer auf die Unterschiede zwischen den Kandidaten zu schauen". Seine Prophezeiung: "Donald Trump wird in einigen Wochen sehr, sehr alt aussehen. Vorausgesetzt, Kamala Harris setzt seinen Tiraden Substanz entgegen und präsentiert sich als fähig und emphatisch."
Staatsanwältin gegen Straftäter
Für Alison, eine 23-jährige Studentin der Wirtschaftswissenschaften, ist Harris "der allerbeste Grund, warum ich mir wieder vorstellen kann, die Demokraten zu wählen." Anders als der gläubige Katholik Joe Biden trete die Vize-Präsidentin "hundertprozentig authentisch für das Recht auf Schwangerschaftsabbruch ein, das Trump und die Republikaner uns Schritt für Schritt nehmen wollen". Millionen von Frauen, selbst in konservativ geprägten Landesteilen, lehnten die "Entwürdigung und Entrechtung von Frauen ab, die Trumps Oberster Gerichtshof mit der Aufhebung des Rechts auf Abtreibung angerichtet hat". Alison sagt, sie könne es gar nicht abwarten, bis Harris Trump vor laufender Kamera dafür "gebührend abstraft".
James (55), ein Transport-Ingenieur, der für die Regierung arbeitet und sich als parteilos beschreibt, findet die neue Konstellation reizvoll: "Auf der einen Seite eine ehemalige Chef-Anklägerin, die für den Rechtsstaat steht. Gegenüber ein verurteilter Straftäter, der das Oberste Gericht benötigt, um möglicherweise dem Gefängnis zu entgehen. Das kann spannend werden."
"Gedämpfte Euphorie", so beschreibt die 38-jährige Kimberly, ein Rechtsanwaltsgehilfin aus Alexandria, ihren Gemütszustand nach dem Biden-Harris-Wechsel. Euphorisch, "weil endlich etwas aufbricht in diesem verkrusteten Wahlkampf, in dem zwei alte Männer den Ton angaben, wenn sie nicht gerade wieder den Faden verloren haben". Gedämpft, "weil für Kamala Harris nach dem Parteitag in Chicago der richtige Härtetest erst noch kommt. Und ich denke, es wird für sie ein wahnsinnig steiler Anstieg." Warum? "Die Umfragen sehen sie seit langer Zeit schon noch deutlich hinter Biden. Sie ist einfach herzlich unbeliebt. Sie muss das in kürzester Zeit drehen, eigene Akzente setzen, ohne Biden dabei zu beschädigen. Nicht unmöglich, aber verdammt schwer."
Harris braucht Inhalte...
Warum, das ist für Evan und George (beide 40), ein schwules Paar aus Bethesda "ziemlich eindeutig". Harris war als Vize-Präsidentin "dazu verurteilt, im Hintergrund zu bleiben". Ihr Ruf sei "gemischt", "echte Erfolge" könne man mit ihrem Namen nicht unbedingt verknüpfen. Eine erste Standortbestimmung werde das "TV-Duell mit Donald Trump, wenn es denn eins gibt".
Die beiden Männer gehen insgeheim davon aus, dass Trump Ausflüchte suchen wird, um einer Debatte zu entgehen. "Seine Wahlkampf-Berater haben Angst, dass er vor der Kamera aus der Haut fährt und Harris mit rassistischen und sexistischen Bemerkungen traktiert, was ihn für viele Frauen unwählbar machen könnte."
David (73), als Demokrat im Stadtrat einer Kleinstadt nördlich von Washington aktiv, denkt "vor allem an Harris' Siegchancen". Er geht davon aus, dass die Umfragen bis November ein "Kopf-an-Kopf-Rennen abbilden werden, wenn nichts Weltbewegendes passiert". Somit käme es wie schon 2020 wieder auf "ein paar zehntausend Stimmen in Swing States wie Pennsylvania, Wisconsin, Michigan oder Georgia an".
... und den richtigen Vize-Kandidaten
Ob Kamala Harris die weiße Industrie-Arbeiterschaft ähnlich gut erreichen könnte wie Joe Biden, das sei "noch die große Frage". Afro-Amerikaner, Frauen und Wähler unter 30, "das kann ich mir schon gut vorstellen", würden schneller Zugang zur Vize-Präsidentin finden. "Ob die von Trump so heftig umgarnte Klientel der Globalisierungsverlierer im Rost-Gürtel das aber auch so sieht, da habe ich noch meine Zweifel."
Darum sei es von "entscheidender Bedeutung", wen Harris als Vize-Präsidentschaftskandidaten mit ins Boot nimmt, sagt die pensionierte Highschool-Lehrerin Joan (74). Sie ist parteiunabhängig, "hat aber früher oft für die Demokraten gestimmt". Ginge es nach ihr, müsste der Gouverneur von Pennsylvania, Josh Shapiro, Harris' Partner werden. "Der Mann ist bis ins moderate republikanische Lager hinein anerkannt und beliebt. Shapiro könnte die nötige Balance herstellen, um Kamala Harris für die weiße Arbeiterschicht wählbar zu machen."
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