Die Sorgen vor einem drohenden Krieg in der Ukraine lassen alle anderen Weltkrisen beim heutigen Treffen der EU-Außenminister in Brüssel wieder einmal in den Hintergrund treten. Sanktionen im Fall eines möglichen Einmarsches russischer Truppen müssen beraten werden. Doch welche Strafen die EU für Russland plant, will sie vorerst geheim halten. Moskau soll keine Gelegenheit und Zeit bekommen, sich vorzubereiten. "Wir müssen die Russen im Dunkeln lassen – wie sie uns", schildert ein hochrangiger EU-Diplomat.
Denn noch immer ist nicht absehbar, was Kremlherr Wladimir Putin mit seinem Truppenaufmarsch an der Grenze zur Ukraine erreichen will. 100.000 russische Soldaten, ausgestattet mit modernstem Kampfgerät bis hin zu Feldspitälern, bilden eine gewaltige Drohkulisse. Alle Verhandlungen zwischen Russland und den USA blieben bisher ergebnislos, am Montag kündigte die NATO an, ihre Präsenz in osteuropäischen Mitgliedsstaaten auszubauen. Die Sorge vor einem Krieg wächst mit jedem Tag.
Wo ist die Schmerzgrenze?
"Eine ganze Reihe von Maßnahmen auf dem Wirtschafts- und Finanzsektor" bereite die EU vor, ist aus Diplomatenkreisen zu hören. Und sie sollen gestaffelt ausfallen – je nach Schwere des russischen Angriffs. Doch schon bei den Vorbereitungen für das heutige Außenministertreffen zeigte sich: Es gibt unter den EU-Staaten höchst unterschiedliche Meinungen, ab wann die Strafsanktionen gesetzt werden sollen.
Reicht schon ein Cyberangriff, wie er zuletzt einige ukrainische Ministerien lahmlegte, um Sanktionen auszulösen? Oder liegt die Schmerzgrenze bei heftigen Angriffen russisch unterstützter Freischärler in der Ostukraine? Einig ist man sich derzeit nur bei Folgendem: "Wenn es zu weiteren Angriffen auf die territoriale Integrität der Ukraine kommt, werden wir mit massiven Wirtschafts- und Finanzsanktionen reagieren", warnte EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen. Die EU sei Russlands größter Handelspartner und größter Investor: "Diese Handelsbeziehung ist uns wichtig, aber sie ist viel wichtiger für Russland."
Im Gespräch sind Sanktionen gegen spezielle Wirtschaftszweige in Russland und die Listung einzelner russischer Großbanken sowie Einreiseverbote und Kontensperrungen für Angehörige der russischen Führung. Vom Tisch sind hingegen Überlegungen, russische Banken vom Zahlungsdienstleister Swift und damit faktisch von den globalen Finanzströmen abzuschneiden. Das scheint den USA und der EU zu heikel: Dieser Schritt könnte kurzfristig zu einer Destabilisierung der Finanzmärkte führen. Und auf längere Sicht könnten Russland, China und andere Interessenten ein Konkurrenzsystem entwickeln und das westlich dominierte Swift einfach ausbooten.
London ortet Komplott Russlands
Inzwischen hat Großbritannien mit einer beispiellosen Warnung aufhorchen lassen: Die britische Regierung hat dem Kreml unterstellt, Moskau wolle eine pro-russische Führung in Kiew etablieren, als möglicher Kandidat wird der frühere ukrainische Abgeordnete Jewhenij Murajew genannt. Dieser steht allerdings selbst seit 2018 auf einer russischen Sanktionsliste. Die US-Regierung nennt die Vorwürfe "zutiefst beunruhigend", Experten halten ein Komplott aber für unwahrscheinlich.
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