Vom Hoffnungsträger zum einsamen Wolf?
Schon während der EU-Ratspräsidentschaft Frankreichs im ersten Halbjahr 2022, in die Russlands Vollinvasion in die Ukraine fiel, machte er aus dem Begriff der "strategischen Autonomie" ein oft wiederholtes Schlagwort. Die EU müsse ihre eigene Verteidigung ausbauen, für die eigene Sicherheit verantwortlich sein und dürfte sich in Handelsfragen nicht zwischen den USA und China zerreiben lassen. Noch immer wählt er starke Worte, aber ist der 46-Jährige noch ein starker Präsident? Kann er, der 2017 mit seiner programmatischen Europa-Rede in der Sorbonne ein ambitioniertes Bild von einer eng verbundenen EU entwarf, noch eine europäische Führungsrolle einnehmen? Die Frage stellt sich umso dringlicher angesichts des Regierung-Aus und der anstehenden Neuwahl in Deutschland, die kurzzeitig ein Machtvakuum in der europäischen Gemeinschaft schaffen.
Doch auch der französische Staatschef ist in einer fragilen Lage. "Es ist völlig offensichtlich, dass sich jede Schwächung auf der nationalen politischen Bühne in einer Schwächung auf der internationalen resultiert", sagt der Politikwissenschaftler und Spezialist für internationale Beziehungen Bertrand Badie.
Startete Macron 2017 als junger Hoffnungsträger mit einer absoluten Mehrheit in der Nationalversammlung, so war diese seit der Wahl 2022 nur noch relativ. Zum allgemeinen Erstaunen löste Macron im Sommer, am Abend der EU-Wahlen nach dem enttäuschenden Ergebnis seiner Partei Renaissance, die Nationalversammlung auf und rief Neuwahlen aus. Der Überraschungscoup konnte eine neuerliche Schlappe nicht verhindern. Renaissance mitsamt Bündnispartnern stellen seitdem nur noch den zweiten von drei großen politischen Blöcken in der französischen Nationalversammlung, hinter dem links-grünen Zusammenschluss "Neue Volksfront" und vor dem rechtsextremen Rassemblement National (RN), der größten einzelnen Oppositionspartei mit 125 Abgeordneten.
Die Republikaner verfügen lediglich über 47 Sitze, dennoch stammt der Premierminister, der frühere EU-Kommissar Michel Barnier, aus ihren Reihen. Er galt als einer der wenigen, der nicht sofort durch einen Misstrauensantrag gestürzt würde; so hatte es RN-Fraktionschefin Marine Le Pen versprochen. Doch wie lange wird seine Mitte-rechts-Regierung halten?
Regulär finden die nächsten Präsidentschaftswahlen 2027 statt, doch die potentiellen Kandidaten bringen sich längst in Stellung. Macron, dem die Verfassung eine dritte Amtszeit in Folge verbietet, gilt jetzt schon als "lahme Ente", so dynamisch er auch auftreten mag. Nur noch ein Viertel der Menschen in Frankreich bewerten ihn positiv. Auch viele seiner einstigen glühenden Anhänger haben sich von ihm abgewendet.
Der "Isolierte im Élysée-Palast"
Als den "Isolierten im Élysée-Palast" bezeichnete ihn gerade erst die Zeitung Le Parisien, während das Wochenmagazin Le Point düstere Fotos des sorgenvoll dreinblickenden Präsidenten im Großformat druckte, neben dem Titel "Die seltsame Endzeit". In einer langen Reportage über die aktuelle Lage des Präsidenten ließ sich kaum jemand aus seinem Umfeld mit Namen zitieren. "Er wirkt verloren", sagte demnach ein Minister anonym. "Wenn ich sentimental wäre, hätte ich mich schon umgebracht", soll Macron selbst in kleiner Runde getönt haben. In den Gängen des Élysée-Palastes sei es ruhig geworden, heißt es. Viele Berater hätten ihre Posten verlassen. Jene, die blieben, werden von den Ministerien nicht mehr in alles eingeweiht.
Es sei "in seinem eigenen und im Interesse von uns allen, dass er sich selbst jetzt aus der Innenpolitik heraushält", wird eine Führungspersönlichkeit aus Macrons Partei zitiert. Tatsächlich heißt es, der Präsident mische sich nicht um die Debatten um den Haushalt ein, um dessen Verabschiedung das Parlament derzeit ringt. Massive Einsparungen sind nötig: Frankreichs Defizit könnte laut Wirtschaftsministerium in diesem Jahr 6,1 Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP) erreichen. Heftig debattiert das Land über die Gründe für die Schulden-Explosion. Haben Macron und Kurzzeit-Premierminister Gabriel Attal vor den EU-Wahlen bewusst die volle Wahrheit verschleiert und die öffentlichen Ausgaben dadurch weiter ansteigen lassen?
Kampf um wirtschaftliches Erbe
Schon jetzt gehört die miserable Haushaltslage zum Erbe des ehemaligen Investmentbankers. Bis zum Jahresende wird sich das Land seit Macrons Amtsantritt um 1.000 Milliarden Euro zusätzlich verschuldet haben. Während der aufeinanderfolgenden Krisen von der Corona-Pandemie bis zum Anstieg der Energie-Preise hatte er Wirtschaft und Haushalte massiv unterstützt, nach dem Motto "koste es, was es wolle". Macron selbst hält sich zugute, die Arbeitslosigkeit gesenkt, das Geschäftsklima verbessert, eine Rezession verhindert zu haben. Er sei "fest entschlossen, sein Erbe zu verteidigen", sagt ein weiterer Vertrauter.
Denn trotz aller Probleme scheint die Resignation nicht zu den Gefühlsarten zu gehören, die der französische Präsident kennt. In der Öffentlichkeit präsentiert er sich gut gelaunt. Bei seinem angriffslustigen Auftritt in Budapest klang durch, dass er weiterhin die Ambition hat, es als europäischer Staatenlenker mit den Großen der Welt aufzunehmen. Macron, der kein Vegetarier ist, hat noch Appetit.
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