Es war wohl auch der drohenden Gefahr eines protektionistischen Amerikas unter Donald Trump geschuldet, dass beim Treffen alle um demonstrative Einheit bemüht waren. Nur einer ließ sich einen Seitenhieb auf Orbán nicht nehmen: Rumäniens Präsident Klaus Iohannis ließ den Ungar ein paar Sekunden lang mit dem Rücken zu ihm gewandt warten, bevor er ihm die Hand schüttelte. Die Antipathie des Rumänen gegenüber dem ungarischen Premier ist allgemein bekannt. Das Netz und Orbán-kritische Medien feixten.
Besonders beobachtet wurde das Zusammentreffen von Orbán mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodimir Selenskij, der genauso wie 19 andere Regierungschefs von Nicht-EU-Ländern geladen war. Für das Begrüßungsfoto wurde händeschüttelnd gelächelt, danach folgte ein Schlagabtausch: Der russlandfreundliche Orbán plädierte für einen Waffenstillstand vor einem Friedensabkommen, Selenskij reagierte empört. Im ungarischen Fernsehen war Selenskijs Reaktion aber nicht zu sehen, just in dem Zeitpunkt wurde zu einem Expertengespräch ins Studio geschaltet.
Frage der Finanzierung
Auch wenn sich die Liveschaltung mit dem triumphierenden Trump, über die ihm Vorfeld spekuliert worden war, nicht erfüllte, dominierte der künftige US-Präsident den Gipfel. Die zweite tiefe Sorgenfalte Europas neben der Sicherheitslage: die Wettbewerbsfähigkeit.
"Business as usual ist keine Option mehr", hieß es im Entwurf für die Gipfelerklärung. Die Sorge, dass Europa zwischen China und den USA, die mit Zöllen drohen, zerrieben werden könnte, ist groß. Von Orbán bis zum französischen Präsidenten Emmanuel Macron wurde wiederholt auf den Bericht des früheren Zentralbankchefs Mario Draghi verwiesen, der Investitionen in Höhe von rund 800 Milliarden Euro jährlich einforderte. EU-Parlamentspräsidentin Roberta Metsola betonte mit Verweis auf Trumps Sieg, dürfe Europa "nicht reagieren, sondern agieren". Nur: Wer soll dafür zahlen?
Man sei "entschlossen, alle Instrumente und Werkzeuge zu prüfen und zu nutzen", hieß es im Entwurf der Gipfelerklärung. Für Investitionen müssten sowohl öffentliche als auch private Mittel mobilisiert werden.
Der deutsche Kanzler Olaf Scholz, der seiner Regierungskrise daheim kurz entflohen war, betonte, Europa müsse primär "Kapital mobilisieren" und "die Bürokratie massiv abbauen" – etwas, das auch den aufgeblähten deutschen Staat lähmt. Unternehmen soll es leichter möglich sein, an Geld für Investitionen zu kommen. Dabei sollen die Europäische Investitionsbank und der langfristige Haushalt der Staatengemeinschaft eine Rolle spielen. Diskutiert wurden auch neue Abgaben, etwa auf Kryptowährungen. Und die Option einer neuen gemeinsamen Schuldenaufnahme. Eine solche hat die EU bisher nur für den milliardenschweren Corona-Aufbaufonds aufgenommen. Dagegen ist neben Deutschland und anderen Staaten auch Österreichs Bundeskanzler Karl Nehammer.
Nehammer traf Magyar
Der nutzte den Kurztrip nach Budapest für eine Retourkutsche an Orbán, der mit einem Besuch bei Nationalratspräsident Walter Rosenkranz und FPÖ-Chef Herbert Kickl vergangene Woche für Kritik gesorgt hatte. Nehammer traf sich mit dem Oppositionellen Péter Magyar, der in aktuellen Umfragen erstmals vor Orbán liegt. Die ÖVP und Magyars TISZA-Partei sitzen in derselben Fraktion im EU-Parlament. Das Foto ging durch die ungarischen Medien.
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