Zwei erschütterte Machtzentren
Zwar beschwört man das offizielle Brüssel seit Tagen, dass man sich auf einen Trump-Wahlsieg ausgiebig vorbereitet habe. Doch in Gesprächen abseits der Kameras hört auch der KURIER viel mehr davon, dass "Europa jetzt endlich aufwachen muss". Im Umgang mit Trump brauche man keine diplomatischen Floskeln, sondern da müssten "Zahlen und Fakten auf den Tisch" - und dann müssten Taten folgen.
Doch wer soll in diesen Tagen in Europa diese Taten setzen, oder zumindest vorantreiben? Mit dem Platzen der Ampelkoalition in Berlin und einem politischen Vakuum für die kommenden Monate ist von der inoffiziellen Führungsmacht in der EU wenig zu erwarten. Noch dazu, wo Deutschland in einer schweren Wirtschaftskrise steckt.
In Paris hat Präsident Emmanuel Macron zwar eine Regierung gezimmert, doch die steht erstens vor einem Schuldenberg und zweitens vor einer Opposition von Rechts mit Marine Le Pens Rassemblement National, die diese Regierung mühelos stürzen kann. Der Präsident im Elysée-Palast ist damit ebenfalls weitgehend entmachtet und kann nicht viel mehr tun als sich den nächsten Präsidentschaftswahlen entgegen zu zittern. Die finden regulär 2027 statt - oder vielleicht sogar früher.
Dass also just Macron am Tag nach den US-Wahlen zum Hörer griff und Olaf Scholz anrief, um „für ein vereintes, stärkeres und souveränes Europa zu streben“, das „mit den Vereinigten Staaten von Amerika kooperiert, während es unsere Interessen und Werte verteidigt“, ist kaum mehr als eine matte Geste zweier weitgehend entmachteter politischer Spieler. Denn während sich die beiden über den Umgang mit Washington abstimmen wollen, hat Donald Trump, der neue alte Mann im Weißen Haus, längst andere Gesprächspartner auf dieser Seite des Atlantik.
Trump sei mit Orbàn regelmäßig in telefonischem Kontakt, bestätigt etwa Frankreichs gerade abgetretener EU-Kommissar Thierry Breton gegenüber Euronews. Orbàn selbst nützt seit Jahren jede Gelegenheit, um Trump die Hand zu schütteln - auch um die EU-Führung zu brüskieren, die um Trump in den vergangenen Jahren einen Bogen gemacht hat.
Machtverschiebung
Jetzt aber hat auch Kommissionschefin Ursula von der Leyen bereits ihre höfliche Gratulation zum Wahlsieg an den Herrn in Mar-a-Lago geschickt und will auf "gute Zusammenarbeit" setzen. Wie die aber aussieht, könnte gerade unter Trump - er setzt ja bekanntlich auf ganz persönliche Beziehungen - von ganz anderen Entscheidungsträgern und in ganz anderen europäischen Hauptstädten entschieden werden. Giorgia Meloni etwa, Regierungschefin in Rom, liegt mit Trump abgesehen vom Krieg in der Ukraine in vielem auf einer Linie - und im Gegensatz zu Olaf Scholz und Emmanuel Macron sitzt sie auch zuhause fest im Sattel.
Immerhin gilt Ursula von der Leyen zu Beginn ihrer zweiten Amtszeit in Brüssel als mächtiger denn je. EU-Parlamentarier etwa sprechen offen von der "Krone", die sie sich mit ihrem neuen Kommissars-Team aufgesetzt habe. Das sei nämlich so zusammengestellt, die Aufgaben so verteilt, dass alle Fäden zuletzt bei ihr zusammenlaufen würden. Noch aber muss diese Kommission vom Parlament bestätigt werden, und da wird das politische Tauziehen erst nächste Woche besonders heftig. Einmal im Amt aber steht diese EU-Kommission EU-Mitgliedsländern gegenüber, von denen immer mehr auf nationalistische Instinkte setzen.
Viktor Orbàn ist da nur einer davon - doch der hat jetzt besonders mächtige Freunde in Washington.
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