Le Pen könnte wegen Veruntreuung nicht bei Präsidentschaftswahl 2027 antreten
Seit gestern trendet ein neuer Hashtag auf der Plattform X: #JeSoutiensMarine, auf Deutsch "ich unterstütze Marine". Damit drücken europäische und französische Rechts-Politiker und Anhänger des rechtspopulistischen Rassemblement National (RN) ihre Unterstützung für die Abgeordnete Marine Le Pen aus, sehen sie als "Opfer einer politischen Verurteilung" und sprechen von einem "Angriff auf die Demokratie".
Die Partei ruft dazu auf, als Zeichen der Solidarität eine Foto mit Le Pen zu teilen. Dem kam etwa der italienische Rechtspolitiker Matteo Salvini nach: "Selbst in Frankreich wird mit allen Mitteln versucht, den Volkswillen und den demokratischen Wind des Wandels zu stoppen", schrieb Salvini, dessen Lega mit dem RN in derselben Fraktion im EU-Parlament sitzt, auf X.
Die Ikone der europäischen Rechten steht vor Gericht: Die französische Staatsanwaltschaft wirft ihr die Veruntreuung von EU-Geldern vor, die Rede ist gar von einem "organisierten System" der Veruntreuung. Konkret geht es um mutmaßliche Scheinbeschäftigungen von Assistenten im Europaparlament während Le Pens Zeit als Abgeordnete von 2004 bis 2016.
3,4 Millionen Euro Schaden
Im September begann das Gerichtsverfahren: gegen Le Pen, ihren Vater, den rechtsextremen Parteigründer Jean-Marie Le Pen, und über 20 weitere RN-Politiker, darunter ihren ehemaliger Lebenspartner Louis Aliot. Die Angeklagten sollen vom Europäischen Parlament insgesamt Millionen Euro für parlamentarische Assistenten erhalten haben, die aber für die Partei tätig gewesen sein sollen, und deren Gehälter zur Sanierung der Parteifinanzen genutzt zu haben. Das EU-Parlament, das als Nebenkläger auftritt, beziffert den Schaden auf 3,4 Millionen Euro. Die Partei hat bereits eine Million Euro zurückgezahlt, will dies aber nicht als Schuldeingeständnis gewertet sehen.
Es ist nicht die erste derartige Anklage: Schon 2017 führte die französische Justiz Ermittlungen gegen Le Pen, weil sie EU- Gelder regelwidrig verwendet hatte, um Mitarbeiter des Front National, dem Vorgänger des RN, zu entlohnen. Sie weigerte sich, 342.000 Euro an das Europäische Parlament zurückzuzahlen, wurde dann zweitinstanzlich zur Rückzahlung von 300.000 Euro verurteilt.
Kandidatur 2027 fraglich
Auch jetzt wieder hat die Staatsanwaltschaft eine Strafzahlung von 300.000 Euro gefordert. Aber nicht nur das: Le Pen droht eine Haftstrafe von fünf Jahren, davon drei auf Bewährung. Noch folgenreicher für Le Pen ist die Forderung des Entzugs des passiven Wahlrechts für fünf Jahre mit sofortiger Wirkung – also bereits nach dem Urteilsspruch und nicht erst nach Berufung und einem möglicherweise langjährigen Lauf durch die gerichtlichen Instanzen. Damit wäre Le Pens Kandidatur bei der Präsidentschaftswahl 2027 vom Tisch. Jener Wahl, bei der Präsident Emmanuel Macron kein drittes Mal mehr kandidieren darf, und der Rechtspopulistin in den Umfragen aktuell die größten Erfolgschancen eingeräumt werden.
Während des Plädoyers im Gerichtssaal in Paris am Mittwochabend saß Le Pen mit eisernem Gesicht in der ersten Reihe auf der Anklagebank. Zuvor hatte sie darauf verwiesen, dass die Assistenten nicht für einzelne EU-Abgeordnete, sondern für die gesamte Gruppe gearbeitet hätten. Den Mitangeklagten fiel es jedoch schwer, ihre Arbeit als parlamentarische Mitarbeiter im EU-Parlament nachzuweisen. Parteigründer Jean-Marie Le Pen war aus gesundheitlichen Gründen nicht anwesend.
Urteil im nächsten Jahr erwartet
Le Pen, selbst Juristin, warf dem Gericht "Gewalttätigkeit" und "Übertreibung" der Vorwürfe vor. Man wolle "den Franzosen die Möglichkeit nehmen, diejenigen zu wählen, die sie wählen wollen", sagte die 56-Jährige. Die Regelung, dass man im Falle einer Verurteilung nicht mehr für ein politisches Amt kandidieren kann, hielt Le Pen am Mittwoch "für rechtlich fragwürdig". Der Vorsitzende des RN, Jordan Bardella, bezeichnete die Forderungen der Staatsanwälte am Mittwoch als "Angriff auf die Demokratie“. "Die Staatsanwaltschaft handelt nicht gerecht“, schrieb er auf X. "Sie will Marine Le Pen verfolgen und sich an ihr rächen."
Die Staatsanwältin nannte die Vorgänge "aufgrund ihres Umfangs, ihrer Dauer und des organisierten und systemischen Charakters beispiellos". Das Verhalten habe der Demokratie in Europa und in Frankreich "schweren und dauerhaften Schaden" zugefügt. Ein Urteil wird für Anfang 2025 erwartet.
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