Marine Le Pen: "Ich bin die Kandidatin der Vergessenen"
aus Paris Simone Weiler
Marine Le Pen kommt gut gelaunt zum Interview. Die Rechtspopulistin führt ihren dritten Präsidentschaftswahlkampf, am 10. und 24. April wird gewählt. 2017 schaffte sie es in die Stichwahl gegen Emmanuel Macron und erreichte 34 Prozent der Stimmen – mehr als ihr Vater Jean-Marie Le Pen, der Gründer des Front National, je erreicht hat. Laut einer neuen Umfrage sehen nur noch 40 Prozent der Franzosen Le Pen, die die Partei 2018 in Rassemblement National ("nationaler Zusammenschluss") umbenannte, als Vertreterin einer "nationalistischen und ausländerfeindlichen extremen Rechten". Das sind elf Prozentpunkte weniger als 2018. Trotzdem wollen nur 21 Prozent, dass sie Präsidentin wird. Die 53-Jährige gibt sich dennoch siegessicher.
KURIER: Frau Le Pen, wie läuft der Präsidentschaftswahlkampf bisher für Sie?
Marine Le Pen: Wahlkampagnen sind eine Freude, wenn man die Franzosen liebt, und ich liebe sie leidenschaftlich! Seit September versuche ich, den Menschen so nahe wie möglich zu kommen, ich reise durchs Land und habe mein Programm in Bezug auf ihre Sorgen und Erwartungen angepasst.
Ich bin die Kandidatin des Volks, der Vergessenen, all jener, die spüren, dass die Politik sich nicht um sie kümmert. Das gibt mir ein Alleinstellungsmerkmal. Ich werde die Stichwahl gegen Macron erreichen, weil unsere Projekte völlig gegensätzlich sind. Macron ist ein Kandidat der Globalisierung und ich bin die Kandidatin der Nation.
Was wären Ihre Prioritäten als Präsidentin?
Wir brauchen eine abschreckende Einwanderungspolitik. Frankreich muss aufhören, ein extrem attraktives Land für illegale Einwanderer zu sein. Ich verstehe diese Menschen gut, sie fliehen vor schwierigen Situationen und wollen ein besseres Leben. Aber es ist grausam, ihnen vorzugaukeln, dass sie, wenn sie Bootsunglücken, Schleppern und Menschenhandel entgehen, eine Chance auf ein Leben in Europa haben. Human ist, ihnen klar zu sagen, dass wir nichts anzubieten haben. Frankreich hat neun Millionen Arme und 5,8 Millionen Arbeitslose, wir sind kein Einwanderungsland mehr. Asylanfragen sollen in Konsulaten und Botschaften gestellt werden, aber wer illegal ins Land kommt, verliert jede Chance auf eine Aufenthaltserlaubnis.
Teilen Sie die Ansicht vom rechtsextremen Präsidentschaftskandidaten Éric Zemmour, dass Einwanderer und vor allem Muslime die Ursache aller Probleme sind?
Hinsichtlich der Muslime besteht ein fundamentaler Unterschied zwischen Zemmour und mir. Ich vermenge nicht Islam und Islamismus. Der Islam ist eine Religion und macht keine Probleme, aber die islamistische Ideologie, die andere unterdrückt, werde ich immer bekämpfen. Ich habe einen Gesetzesvorschlag gegen den islamistischen Fundamentalismus. Von der Finanzierung über die Orte seiner Ausübung bis zu Büchern wird dieser keinen Sauerstoff zum Atmen in Frankreich mehr haben.
Die Juristin ist die jüngste dreier Töchter von Jean-Marie Le Pen, Gründer des rechtsextremen Front National. 2011 übernahm sie den Parteivorsitz, 2018 benannte sie die Partei in Rassemblement National um. Ihren Vater schloss sie 2015 aus der Partei aus, nachdem er in Interviews den Holocaust als "Detail der Geschichte" relativiert hatte. Es ist nach 2012 und 2017 ihre dritte Präsidentschaftskandidatur, 2017 kam sie in die Stichwahl gegen Macron. Die 53-Jährige ist zweimal geschieden, hat drei Kinder und lebt nach eigenen Angaben mit einer Freundin und einem Dutzend Katzen zusammen.
Im Frühling 2022 wählt Frankreich ein neues Staatsoberhaupt: Der erste Wahlgang ist am 10. April, die Stichwahl findet am 24. April statt. Präsident Macron dominiert aktuell die Umfragen.
Zemmour macht Ihnen trotzdem direkte Konkurrenz. Haben Sie ins Auge gefasst, sich mit ihm zusammenzuschließen?
Nein, denn in der Stichwahl bleiben nur zwei Kandidaten, auf die sich die Stimmen der übrigen verteilen. Ich werde diese Wahl gewinnen, weil ich noch nie ein so großes Stimmen-Reservoir hatte. Durch den Bruch zwischen Macron und der Linken wird es keine republikanische Front geben, die den Soldaten Macron gegen Le Pen schützt. Ein großer Teil der Linken wird sich in der Stichwahl enthalten. Bei Themen wie Einwanderung und Sicherheit kopiert Zemmour unser Projekt. Aber während er nur Feststellungen trifft, die wir seit 40 Jahren machen, sind wir weiter: Wir bringen seriöse Lösungsvorschläge und arbeiten mit Juristen ein legislatives und verfassungsrechtliches Projekt eines Referendums aus, das die rechtliche Situation der Ausländer in Frankreich und die Einwanderungspolitik neu definieren wird und nationales Recht über europäisches Recht stellt. Wir werden noch weiter gehen als Polen.
Sollten Sie Präsidentin werden, was wären Ihre Schwerpunkte in der Europapolitik?
In Europa gibt es zwei Modelle: das deutsche, das allen Völkern die Vereinheitlichung aufzwingen will, indem sie einen Teil ihrer Souveränität aufgeben, und das französische – auch wenn Macron es nicht verteidigt. Es schafft eine Einheit, in der die Verschiedenartigkeit bewahrt wird. Ich will ein freies und souveränes Europa der Nationen. Die Völker haben das Recht, zu bleiben, was sie sind. Ich werde dafür kämpfen, dass man aufhört, die nationale Souveränität einzuschränken, vor allem bei Fragen der Einwanderung. Ich will den Migrations- und Asylpakt stoppen, mich dafür einsetzen, dass Europa sich besser im internationalen Handel behauptet. Strenge Auflagen müssen auch für Produkte aus dem Ausland gelten, nicht nur für in der EU produzierte. Zudem war es ein Fehler, unsere diplomatischen Kapazitäten an die EU abzugeben, denn in der Welt hat die EU keine Stimme.
Auf nationaler Ebene verfügt Ihre Partei über keine Regierungserfahrung. Mit wem würden Sie regieren?
Ich will eine Regierung der nationalen Einheit mit einer Hauptmission: Die Brüche, die Macron verursacht hat, zu reparieren, die Franzosen wieder zu vereinen. Hier brauche ich Männer und Frauen, die dieselbe Vision haben, über die Grenzen einer Partei hinaus. Ich glaube nicht an die Spaltung zwischen links und rechts, sondern zwischen jenen, die für Globalisierung sind, die Grenzen aufheben wollen und das Volk als altmodisches Konzept ansehen – und denen, die noch an Frankreich und das französische Volk glauben. Auch unter den Republikanern denken viele wie ich.
Das Interview wurde von mehreren Korrespondenten geführt. Der KURIER war dabei das einzige österreichische Medium.
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