Was hinter Macrons vulgärem Interview-Sager steckt
Dem Präsidenten wird klares Kalkül in seiner Aussage, Ungeimpften "am Wecker gehen zu wollen", unterstellt.
07.01.22, 05:00
aus Paris Simone Weiler
Es war ein mehrseitiges Interview, das Emmanuel Macron der beliebten Tageszeitung Le Parisien am Mittwoch gegeben hat. Unter anderem ging es um Frankreichs EU-Ratsvorsitz, die Kaufkraft und die Gesundheitspolitik. Hängen geblieben ist aber vor allem jener Satz, "er habe Lust, den Ungeimpften auf den Wecker zu gehen". Wobei diese Übersetzung sehr milde formuliert ist – wortwörtlich lässt sich der vom Präsidenten benutzte Ausdruck "emmerder" mit "auf die Eier gehen" oder gar "in die Scheiße reiten" übersetzen.
Macron sagte, er werde die Ungeimpften weder einsperren noch zwangsimpfen, aber ihren Alltag massiv einschränken. Ab dem 15. Jänner könnten sie dann weder essen noch "ein Weinchen trinken", ins Theater oder ins Kino gehen. Impfgegner machten einen "riesigen moralischen Fehler", so Macron: "Wenn meine Freiheit jene der anderen bedroht, handle ich verantwortungslos. Und ein Verantwortungsloser ist kein Bürger mehr."
Darf ein Präsident so reden, derart provozieren, spalten? In seiner Silvesteransprache hatte er noch dazu aufgerufen, "vereint, wohlwollend, solidarisch" zu bleiben. Die Aufregung ist gewaltig – und das soll von Macron auch so berechnet worden sein, dessen Pressedienst das Interview genau so autorisiert hat.
Zwar sind ihm in der Vergangenheit wiederholt unbedachte Sätze herausgerutscht – etwa jener über Menschen, die "nichts" seien. Erst vor wenigen Wochen entschuldigte er sich in einem TV-Interview für "Worte, mit denen ich verletzt habe". Diesmal aber handelte es sich wohl um volle Absicht, so wie bei einem Interview im November 2019, in dem er sagte, die NATO seit "hirntot": Macron will aufrütteln, Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Schließlich herrscht in Frankreich bereits Wahlkampf.
Politisches Kalkül
Angesichts einer Quote von mehr als 90 Prozent der über Zwölfjährigen, die mindestens zweimal geimpft sind, weiß er die große Mehrheit der Bevölkerung hinter sich. Diese gibt den Ungeimpften eine Mitschuld daran, dass in den Krankenhäusern wieder Operationen verschoben werden und angesichts einer Inzidenz von über 2.000 neue Einschränkungen drohen. Rund zwei Drittel sprechen sich für eine Impfpflicht aus. Und von den gut fünf Millionen Ungeimpften dürften die wenigsten Macron-Wähler sein.
Vorhersehbar war die Reaktion seiner politischen Gegner: Rechtspopulistin Marine Le Pen bezeichnete Macron als "seiner Funktion unwürdig", für den grünen Yannick Jadot ist Macrons Aussage "nicht angemessen" und für die republikanische Kandidatin Valérie Pécresse sind "Beleidigungen keine Lösung".
Beobachter gehen davon aus, dass Macron mit seinen direkten Worten seine Gegenspieler in die Enge treiben wollte. Weder Le Pen noch der Linkspopulist Jean-Luc Mélenchon konnten sich bislang zu einem Impf-Appell durchringen. Pécresse wiederum hatte die Abgeordneten ihrer Partei dazu angewiesen, für das gerade verhandelte Gesetz eines Impfpasses zu stimmen, der künftig in Cafés, Kinos oder Fernzügen verlangt wird und für den ein Negativtest nicht reicht. Diese votierten jedoch mehrheitlich dagegen. Dennoch wurde das Gesetz am Donnerstag in der Nationalversammlung beschlossen. Sein Vorhaben, die Ungeimpften gehörig zu nerven, setzt Macron damit ein Stück weiter in die Tat um.
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