Diese zwei Frauen bestimmen, wer Europa künftig regiert
Bei der Europawahl werden Giorgia Meloni und Marine Le Pen große Gewinne einfahren. Wie sie künftig zusammenarbeiten, wird auch entscheiden, ob die mächtigste Frau Europas wiedergewählt wird.
In unserer Reihe "Warum sollte mich das interessieren?" behandeln Ingrid Steiner-Gashi und Evelyn Peternel Themen, die manchmal noch weit weg erscheinen, für jede und jeden hier in Österreich jedoch große Bedeutung haben.
Zwei Frauen seien es, sagt Ungarns Premier Viktor Orban, die die Zukunft des „souveränen Lagers in Europa“ entscheiden werden. „Alles wird von der Fähigkeit Marine Le Pens in Frankreich und Giorgia Melonis in Italien abhängen, wie sie zusammenarbeiten.“
Und wenn es nach dem Wunsch des nationalkonservativen ungarischen Regierungschefs geht, soll diese Kooperation felsenfest ausfallen – in Richtung mehr Distanz gegenüber Brüssel, mehr Europa-Kritik, mehr Entscheidungen daheim, in den nationalen Regierungen. Eine Richtung, die den Rechtspopulisten im Europa-Parlament erheblich mehr Macht in die Hände spülen würde.
Ob Europa nach den Wahlen am Sonntag tatsächlich diesen Weg einschlägt, liegt vor allem an Giorgia Meloni. Die italienische Regierungschefin ist die Königsmacherin – und das sogar mit zwei Trümpfen in der Hand.
Seit die Chefin der Fratelli d´Italia im Herbst 2022 die Regierung übernahm, gibt sich die Postfaschistin geradezu moderat konservativ.
Vorbei die Zeiten, angriffiger Verbalattacken und giftiger EU-Kritik. Stattdessen schwenkte Meloni außenpolitisch auf einen pragmatischen Kurs um, unterstützt vorbehaltlos die Ukraine, freundete sich mit EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen an und schmiedete mit ihr einige Rückführungsabkommen, um die illegale Migration besser in den Griff zu bekommen.
Kulturkriege führen die Fratelli ausschließlich daheim, doch auf der europäische Ebene strafte "la Meloni" bisher alle Ängste vor einem Rutsch ins Postfaschistische Lügen.
Die Hand, die Italien füttert
Das sei kein Wunder, geben ihre nach wie vor argwöhnischen Skeptiker zu bedenken: Ihr Überleben als Premierministerin des schwer verschuldeten Italien hänge vor allem davon ab, jeden Konflikt mit der Europäischen Zentralbank und der EU-Kommission zu vermeiden. Ohne die finanzielle Hilfe aus Brüssel – vor allem die zugesagten fast 200 Milliarden Euro aus dem Corona-Fonds der EU – würden Italiens Zinsen durch die Decke schießen. Und Giorgia Meloni aus dem Amt sprengen.
Die Hand, die ihr aus der EU und in Person Ursula von der Leyens entgegen gestreckt werde, wolle die frühere Europaskeptikerin Meloni deshalb ganz gewiss nicht beißen.
Und nicht zuletzt ist es jetzt die mächtige Kommissionschefin, die wiederum Meloni braucht.
Will Ursula von der Leyen im Juli mit einer Mehrheit der EU-Abgeordneten erneut zur Präsidentin der Kommission gewählt werden, benötigt sie dringend auch die Stimmen der „Brüder Italiens“.
Zwar wird Meloni nicht ins EU-Parlament einziehen, doch als weitaus beliebteste Politikerin Italiens peilt sie als Spitzenkandidatin ihrer Fratelli einen gewaltigen Wahlerfolg an. Fast 30 Prozent der Stimmen prognostizieren die Umfragen – das würde ihr mehr als 22 Abgeordnetensitze bescheren (mehr als alle österreichischen Abgeordneten aus allen Parteien zusammen) – unverzichtbar für Von der Leyen.
Le Pen lockt
Auf der anderen Seite steht Marine Le Pen, die ihrerseits versucht, Giorgia Meloni zu umgarnen. Das Ziel der Französin: Eine große, schlagkräftige Fraktion im EU-Parlament zu bilden, die alle rechtspopulistischen Parteien Europas umfasst. Dafür braucht sie Meloni und ihre Fratelli – doch die halten ihre Karten bisher noch bedeckt. Man zeigt höfliches Interesse und nährt die Spekulationen nach allen Seiten.
„Ich erwarte, dass die Rechtspopulisten bei der Wahl erfolgreich sein werden“, sagt der niederländische Politologe und Rechtsextremismusforscher Cas Mudde, „aber politisch werden sie das wegen ihrer internen Differenzen nicht umsetzen können.“
So etwa trennt Giorgia Meloni und Marine Le Pen nicht nur ihre Position zu Russland und zum Ukraine-Krieg, sondern vor allem ihr Stil: Wo sich die italienische Regierungschefin gegenüber Brüssel verbindlich zeigt, bleibt Le Pen hart, lehnt jede gemeinsame europäische Verteidigungs-, Außen- und Energiepolitik kategorisch ab.
Vor allem aber betont die Französin, die unbedingt die nächste Präsidentin ihres Landes werden will, in Bezug auf ihren Rassemblement National: „Was uns betrifft, werden wir nie, und ich wiederhole nie, nie für Ursula von der Leyen stimmen. Ihre Zeit ist vorbei.“
Und so liegt es nun in Giorgia Melonis Hand, ob sich Europas Rechtspopulisten zu einem harten Kern zusammenschließen - und eine parlamentarische Mehrheit für Kommissionschefin Ursula von der Leyen in den Wind schießen. Das würde der gesamten EU eine veritable Krise bescheren, die künftige Arbeit des EU-Parlaments wäre bald ein Berg von Blockaden und Stolpersteinen.
Oder aber die Chefin der Fratelli d´ Italia bleibt ihrer neuen, pragmatischen Linie treu. Pflegt ihr frisch erworbenes Image als "Brückenbauerin" zwischen den Hardcore-Rechten und den Christdemokraten.
Was noch lange nicht heißt, dass sich alle Mitglieder der Europäischen Volkspartei (EVP) mit der Idee einer Zusammenarbeit mit der Postfaschistin anfreunden können. Doch das ist eine andere Geschichte.
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