Wer ist Trumps neues Ass am Obersten Gerichtshof?
US-Präsident Donald Trump hat die erzkonservative Abtreibungsgegnerin Amy Coney Barrett zur neuen Richterin am Supreme Court vorgeschlagen. Unter dem Jubel seiner Anhänger verkündete Trump seine Entscheidung am Samstagnachmittag im Rosengarten des Weißen Hauses. In seiner Vorstellung würdigte Trump die "unverbrüchliche Treue" der 48-Jährigen zur US-Verfassung. "Sie werden phantastisch sein", sagte Trump in Richtung der neben ihm stehenden 48-Jährigen.
Die Entscheidung kann dem Präsidentschaftswahlkampf neue Dynamik verleihen.
Die 48-Jährige, Mutter von fünf eigenen und zwei aus Haiti adoptierten Kindern, ist seit 2017 Richterin am Bundesberufungsgericht in Chicago. Die in New Orleans geborene Juristin hat über 15 Jahre an der katholischen Elite-Universität Notre Dame in South Bend im Bundesstaat Indiana gelehrt, wo Barrett mit ihrem Mann Jesse, ebenfalls Jurist, und ihrer Familie lebt.
Gegen Abtreibung
Unter Kollegen und Studenten genießt sie den Ruf einer exzellenten Rechtsgelehrten, die sich als sogenannte "Originalistin" versteht. Damit sind Juristen gemeint, die die über 230 Jahre alte amerikanische Verfassung buchstabengetreu im Sinne der damaligen Autoren auslegen und auf zeitgenössische Interpretationen und Ableitungen verzichten.
Coney Barrett ist zudem eine entschiedene Abtreibungsgegnerin. Eines ihrer Kinder hat das Down-Syndrom. Sie erfuhr davon zu Beginn der Schwangerschaft und entschied sich gegen eine Abtreibung.
Barrett, die vor 20 Jahren für die 2016 verstorbene erzkonservative Supreme Court-Legende Antonin Scalia arbeitete, hat in Schriften und Reden erkennen lassen, dass sie sich nicht uneingeschränkt dem Grundsatz „stare decisis” verpflichtet fühlt.
Konservative 6:3-Mehrheit
Danach rüttelt der Supreme Court nicht an Präzedenzfällen aus der Vergangenheit („precedents”). Dazu gehört der 1973 entschiedene Fall „Roe gegen Wade”, der landesweit die Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen festschrieb.
Obwohl in Umfragen eine Mehrheit der Amerikaner an dem Recht festhalten will, haben evangelikale und andere religiöse Gruppierungen seit Amtsantritt Donald Trumps ihre Bemühungen extrem intensiviert, das Recht zu Fall zu bringen.
Mit Barrett im neunköpfigen Richter-Gremium wäre eine konservative 6:3-Mehrheit zementiert, da die Richterinnen und Richter auf Lebenszeit berufen werden.
"Barrett hebe ich mir für Bader Ginsburg auf"
Marjorie Dannenfelser, Chefin der Anti-Abtreibungs-Lobby-Organisation „Susan B. Anthony List”, die Donald Trump mit einer Finanzspritze von 50 Millionen Dollar am 3. November zur Wiederwahl verhelfen will, hat die Personalie Barrett in höchsten Tönen gelobt. Die Chancen auf eine Abschaffung von „Roe versus Wade” seien gestiegen, sagte sie.
Trump hatte die Richterin, mit der er sich vor wenigen Tagen im Weißen Haus ausführlich unterhalten hat, bereits 2018 für den Supreme Court vorgesehen, sich dann aber für den wegen Vergewaltigungsvorwürfen umstrittenen Brett Kavanaugh entschieden. "Barrett hebe ich mir für Bader Ginsburg auf", sagte Trump damals.
Die 87-Jährige war am 18. September nach einer Krebserkrankung gestorben. Sie wurde am Freitag als erste Frau in Amerika mit allen Ehren im Kapital von Washington im geschlossenen Sarg aufgebahrt. Ihr Beisetzung auf dem Nationalfriedhof von Arlington bei Washington ist nächste Woche geplant.
Kurz danach könnten im Senat bereits die von den Republikanern mit Eile betriebenen Anhörungen für das Genehmigungsverfahren beginnen, die für alle Top-Richter obligatorisch sind.
Nachdem bisher nur zwei Republikanerinnen, Lisa Murkowski und Susan Collins, ihre Ablehnung signalisiert haben, verfügen die Konservativen über 51 von 100 Stimmen und können Coney Barrett damit nach jetzigem Stand bis Ende Oktober durchsetzen.
Die Demokraten lehnen das auch mit Verweis auf die öffentliche Meinung vehement ab, haben aber keine politische Verhinderungsmacht.
38 Prozent der Amerikaner für Trumps Entscheidung
Nach einer aktuellen Umfrage sind 38 Prozent der Amerikaner dafür, dass Trump die weichenstellende Entscheidung vornimmt. 57 Prozent sagen, dies müsse dem Gewinner der Präsidentschaftswahl vorbehalten bleiben.
Trumps demokratischer Herausforderer Joe Biden würde als Ersatz für Bader Ginsburg dem Vernehmen nach eine liberale afro-amerikanische Juristin an den Supreme Court entsenden wollen.
Trump, der mit Neil Gorsuch und Brett Kavanaugh bereits zwei konservative Richter am Obersten Gerichts platzieren konnte, erhofft sich von der Entscheidung kurz vor der Präsidentschaftswahl Auftrieb in religiös-konservativen Wählerschichten.
"People of Praise"-Bewegung
Dort genießt die ideologische Grundströmung der wichtigsten Streitschlichtungsinstanz der USA bei zentralen Themen wie Waffenbesitz, Einmischung des Staates ins Private und Einwanderung allerhöchste Priorität.
In ihrem Anhörungsverfahren für den Berufungsrichter-Posten in Chicago 2017 warf die demokratische Senatorin Dianne Feinstein Amy Coney Barrett vor, aus ihr spreche „laut und deutlich das Dogma”.
Hintergrund: Barrett gehört innerhalb der katholischen Kirche der als erzkonservativ und autoritär-hierarchisch bekannten „People of Praise”-Bewegung an, die Abtreibung für „moralisch falsch” hält. Und in der verheiratete Frauen spirituelle Unterweisung grundsätzlich von Männern erhalten.
Kritiker sehen in der 1800 Mitglieder zählenden Gruppe einen „Kult”, was die Bewegung vehement bestreitet. Coral Anika Theill, ein früheres Mitglied, schilderte gegenüber der linken Internetseite „Democracy Now”, dass sie sich von ihrem früheren Ehemann missbraucht gefühlt habe. Der Ausstieg aus der Bewegung sei ihr nicht leicht gemacht worden.
Auf mehrfaches Nachfragen verschiedener Senatoren sagte Amy Coney Barrett 2017, dass sie ihre „persönlichen Überzeugungen niemals in die Rechtsfindung einfließen lassen wird”.
Als Rechtsprofessorin in Notre Dame betonte sie einmal bei einer Graduierten-Abschlussfeier, dass eine juristische Karriere nur „das Mittel zum Zweck ist”. Und dieser Zweck sei es, „das Reich Gottes aufzubauen”.
Wer Coney Barrett daraus versuche einen Strick zu drehen oder ihr zu unterstellen, sie propagiere die Aufhebung der Trennung von Staat und Kirche, liege völlig falsch, sagen katholische Professoren und Würdenträger. Laut Verfassung dürfe die religiöse Orientierung für das Erlangen eines öffentlichen Amtes keine Rolle spielen.
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