„Wir dürfen nicht dabei zusehen, wie TikTok von einem sozialen Medium immer mehr zu einem Putin-Medium wird“, sagte zum Beispiel NEOS-EU-Abgeordnete Anna Stürgkh vor Journalisten und forderte den CEO von TikTok dazu auf, dessen Algorithmus offenzulegen. Selbst ein Verbot der App, zu dem es in den USA bald kommen könnte, wird von manchen Politikern mittlerweile als Möglichkeit genannt.
Die Rechtsparteien hingegen zeigen sich erzürnt über die Entscheidung, dass der rumänische Urnengang gänzlich wiederholt wird. Der EU-Kommission werfen sie vor, den Begriff „Desinformation“ missbrauchen zu wollen - „um Wahlen aufzuheben, wenn sie nicht das gewünschte Ergebnis bringen“, so etwa die FPÖ-Abgeordnete Petra Steger. Untersuchungen belegen, dass TikTok rechte und rechtsextreme Inhalte deutlich bevorzugt ausspielt - Politiker der AfD in Deutschland oder des RN in Frankreich konnten über die App beispielsweise bereits enorme Reichweitenerfolge feiern.
Kontroverse Posts funktionieren besonders gut
„Das eine Problem bei diesen Plattformen ist, dass die Echtheit von Informationen und Accounts nicht immer gegeben ist. Das andere: Sehr polemische und kontroverse Posts funktionieren besonders gut, weil sie in der Regel mehr Interaktionen generieren“, sagt Dennis-Kenji Kipker vom Cyber Intelligence Institute in Frankfurt zum KURIER.
Welche Gefahren bringen soziale Netzwerke wie TikTok jetzt tatsächlich für Wahlen aus dem Ausland? Und sind sie auch in anderen EU-Ländern akut?
Um bei TikTok erfolgreich zu sein, braucht man laut Kipker keinen langjährig etablierten Account oder viele Follower. So könnten auch Posts von neu erstellten Profilen viral gehen: „Das führt zu dem Risiko, dass - wie man das in Rumänien gesehen hat - Tausende Konten vor einer Wahl aktiviert werden und so die öffentliche Meinung beeinflussen.“
TikTok sei für Desinformation besonders anfällig, weil es noch immer relativ wenig im Bereich Plattformregulierung. Hier greift eigentlich der Digital Services Act der EU, aber an der Umsetzung durch die Netzwerke sowie der Überprüfungen hapert es.
Wahl-Beeinflussungsversuche via soziale Netzwerke aus dem Ausland seien in Europa an sich nichts Neues, sagt der Forscher. Was man in Rumänien gesehen habe, sei aber vom Ausmaß her die bisherige Spitze gewesen. Weltweit habe man schon bei der ersten Wahl von Donald Trump 2016 erhebliche russische Einflusskampagnen erlebt. Die Corona-Pandemie, die Kriege in der Ukraine und Nahost sowie neue Möglichkeiten der Desinformation durch KI hätten das Ganze noch einmal deutlich angeschoben.
Risiko auch in allen anderen EU-Ländern
Man müsse sich daher auch in allen anderen EU-Ländern auf Beeinflussungsversuche wie in Rumänien vorbereiten, auch für die Wahl in Deutschland zu Jahresbeginn 2025: „Das Risiko besteht definitiv. Und es besteht auch unabhängig von Wahlen.“ Langfristig gebe es die Gefahr, dass zu bestimmten Themen falsche Informationen überwiegen und Demokratien ausgehöhlt werden könnten.
„In Zukunft wird man sagen müssen: Wenn ein soziales Netzwerk in Europa Fuß fassen will, muss es dafür sorgen, dass die Inhalte überprüft werden. Die verdienen mit Werbung und Nutzerdaten Millionen, umgekehrt sollte der Content qualitativ hochwertig sein müssen“, so Kipker.
Aber was, wenn mächtige Plattformen wie TikTok, die schon in Europa sind, sich einfach nicht an die Forderungen der EU halten, Vorwürfe weiter abstreiten? Soll man sie dann tatsächlich aus den App-Stores verbannen?
„Die USA begründen dieses Vorhaben auch mit Irreführung, aber vor allem mit Spionageverdacht und Datenausleitung nach China.“ In der EU sei die Sache komplizierter. „TikTok hat ja auch ein europäisches Betreiberunternehmen, mit Sitz in Irland - und kann sich als Konzern auf europäische Grundrechte wie die Freiheit der Unternehmensausübung berufen“, sagt Kipker. Eine politische Rechtfertigung allein reiche nicht aus. Trotz der aktuellen Diskussionen hält er es Stand jetzt für „nahezu ausgeschlossen“, dass TikTok in der EU bald verboten wird.
Albanien schaltet TikTok für ein Jahr ab
Der Regierungschef von Albanien, Edi Rama, kündigte erst am Samstag an, das Balkanland werde TikTok ab Anfang 2025 für mindestens ein Jahr abschalten. Das hängt weniger mit Wahlbeeinflussung zusammen, durchaus aber mit der Qualität der Informationen, die gerade junge Menschen über TikTok erhalten. "In China verbreitet Tiktok Informationen dazu, wie Schüler dem Unterricht folgen können, wie man die Natur schützt und Bräuche hochhält. Warum sieht man auf Tiktok außerhalb Chinas nur Schund und Dreck? Brauchen wir das?", so Rama.
Vor wenigen Wochen wurde ein 14-Jähriger bei einem in Online-Medien begonnenen Streit zwischen Schülern in Tirana getötet und ein weiterer verletzt. Der Fall löste eine Debatte unter Psychologen, Eltern und Bildungseinrichtungen über den Einfluss von Online-Netzwerken auf Jugendliche und Kinder aus.
Das australische Parlament beschloss Ende November ein Social-Media-Verbot für unter 16-Jährige. Australiens Premier Anthony Albanese hatte Social Media als "Plattform für Gruppenzwang, treibende Kraft für Ängste, Hilfsmittel für Betrüger und Werkzeug für Online-Triebtäter" beschrieben.
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