Wie die chinesische Plattform Tiktok weltweit Wahlen beeinflusst
In unserer Reihe "Warum sollte mich das interessieren?" behandeln Ingrid Steiner-Gashi und Evelyn Peternel Themen, die manchmal noch weit weg erscheinen, für jede und jeden hier in Österreich jedoch große Bedeutung haben.
Er sieht aus wie ein grauer Apparatschik, ist übergewichtig, 72 Jahre alt, soll schwere Menschenrechtsvergehen zu verantworten haben und scheiterte bei zwei früheren Präsidentschaftswahlen als Kandidat jedes Mal grandios. Jetzt aber ist Prabowo Subianto urplötzlich der beliebteste Politiker des Landes. Mit besten Chancen, kommende Woche die Präsidentschaftswahlen in Indonesien zu gewinnen.
Wie dieser Umschwung möglich ist?
Dank Tiktok. Genauer gesagt dank jener millionenfach geklickter und geteilter Kurzvideos, in denen der greise Verteidigungsminister eher schwerfällig zu ein paar ungelenken Tanzschritten wippt.
Seither amüsieren die mit Memes und schrägen Kommentaren versehenen, kreativ umgemodelten Video die jungen Indonesier. Und seither ist es auch völlig bedeutungslos, dass Subianto einst als Kommandant von militärischen Spezialeinheiten auf Osttimor Befehle für ein grausames Vorgehen gegeben und in den späten 1990er-Jahren die Entführung von 20 Demokratie-Aktivisten zu verantworten hat.
Stattdessen pflegt der Ex-General nun unter den jungen Indonesiern das Image eines „knuddeligen Teddybärs“. Eines etwas steifen, aber liebenswerten Opas, dem man gerne die Führung des Landes anvertraut. Und die jungen Wähler sind es, die im bevölkerungsreichsten muslimischen Land der Welt (274 Millionen Einwohner) den Ausgang des Urnengangs am 14. Februar entscheiden werden.
Und es ist ebenso ein gigantischer Markt für Tiktok: An die 125 Millionen User nutzen die Spaß-Plattform. Kurz, knackig, lustig und weitgehend politikfrei.
So ließ sich das Bild des bisher ungeliebten Politikers Subianto dank der Tiktok-User positiv verändern, ohne dass er selbst Millionen Dollar für eine Imagekampagne in die Hand nehmen musste.
Geht das auch in Europa?
Wird das Beispiel Indonesiens, wo Tiktok geradezu die Rolle eines Königsmachers einnimmt, auch in Europa Schule machen? Wird der Tiktok-Algorithmus künftig indirekt unsere Regierungschefs bestimmen?
Bezahlte Werbeposts politischer Parteien sind auf Tiktok verboten. Eine politische Plattform sei Tiktok dennoch, meint Martin Fuchs. Der Hamburger Politikberater mit Schwerpunkt Social-Media-Expertise verweist darauf, dass viele gesellschaftliche Bewegungen – vom Klimaschutz bis zum Feminismus – breit auf Tiktok stattfinden.
„Aber auch wenn Tiktok schon in den vergangenen zwei Jahren bei Wahlkämpfen etwa in Deutschland eine viel größere Rolle gespielt hat, ist seine Wirkmächtigkeit in Europa eine ganz andere als in Asien oder in den USA“, sagt Fuchs zum KURIER. In Europa gebe es viel mehr Informationsquellen, „da ist Tiktok nur eine Quelle von vielen.“
Und nicht zuletzt ist die Zahl der älteren Wähler, die in Europa an die Urnen gehen und von Tiktok keinen Schimmer haben, im Schnitt erheblich älter als in Asien.
Der deutsche FDP-Politiker Thomas Sattelberger erreichte mit Tiktoks zu Steuerhinterziehung und Koalitionsverhandlungen Millionen. Hinter diesem Erfolg steht die Agentur Youth Garden. Kreativchef Urs Meier erklärt, was bei Tiktok zählt:
- Zeit auf der Plattform: Viel wichtiger als das Lebensalter sei die Bereitschaft, sich selbst mit der Plattform auseinanderzusetzen. Es reiche nicht, einfach irgendwelche Videos hochzuladen. Es gibt auch eigene Umgangsformen: Siezen ist z. B. nicht gefragt und wer das falsche Emoji verwendet, ist unten durch.
- Schnell Trends aufgreifen: Nur wer auf Tiktok ist, bemerkt die schnelllebigen Trends wie Musik, Tänze und Themen. Diese gilt es aufzugreifen. Oft wechseln sie täglich. „Man braucht Feingefühl, was die Leute gerade sehen wollen,“ erklärt Meier. Die Trends seien oft global – vieles komme aus den USA oder Asien.
- Unterhaltung ist gefragt: Was gar nicht geht, sind fade Inhalte: Dann werde man auf Tiktok gar nicht ausgespielt – Unterhaltung und Kreativität werden großgeschrieben. „Jeder 15-Jährige kann heute eine bessere Idee haben und dafür besser vom Algorithmus belohnt werden als ich“, sagt Meier.
- Rhythmus und Tempo: „Die ersten Millisekunden entscheiden. Man muss sofort überzeugen“, sagt der Experte. Der Videoschnitt muss im Rhythmus sein. Was anfangs versprochen werde, sollte gehalten werden: Eine gestellte Frage gilt es zu beantworten.
Dazu kommt: Parteiprogramme, Parteipräsentationen, komplizierte politische Inhalte - das funktioniert auf den schnellen Kurzvideos gar nicht. „Man geht auf Tiktok, um sich zu amüsieren, nicht um sich politisch zu informieren“, sagt Fuchs. Weshalb, so der Experte weiter, auch Parteiaccounts viel schlechter ankommen würden als Personen: Der wackelig tanzende indonesische Wahlfavorit „zieht“ unendlich viel bessere als dessen Wahlprogramm.
Natürlich stürzten sich nicht nur Parwobos Wahlkampfteam mit aller Kraft in eine Social-Media-Kampagne, sondern auch seine Kontrahenten. Und selbst Donald Trump, bis vor einigen Jahren noch ausgewiesener Tiktok-Hasser, wird kaum umhin kommen, auf die gewaltige Breitenwirkung der jungen Plattform verzichten zu können.
„Dabei muss er es selber gar nicht nutzen“, gibt Politikberater Martin Fuchs zu bedenken. „Seine viele jungen Unterstützergruppen sind alle auf Tikkok. Und sie werden sein Narrativ verbreiten.“
Verboten und wieder erlaubt
Dabei hatte der Ex-Präsident noch 2020 versucht, die Plattform in den USA zu verbieten. Der Vorwurf: Die Trump-Regierung hatte die von chinesischen Besitzern kontrollierten Apps Tiktok und WeChat als Gefahr für Daten von Amerikanern und die nationale Sicherheit eingestuft. Sein Nachfolger Joe Biden hob das Verbot allerdings wieder auf.
Im US-Kongress und im Weißen Haus ist die Video-App auf Diensthandys aber längst strikt tabu. Auch auf den Smartphones der EU-Kommission darf die App seit dem Vorjahr nicht mehr benutzt werden. Für österreichische Staatsbedienstete ist Tiktok auf Diensthandys ebenfalls verboten.
Für Trump, der seine große Wut gegen China richtet, könnte sich nach einem möglichen Wahlsieg wieder die Frage stellen: Tiktok, das er der quasi der Spionage verdächtigt, wieder verbieten?
An die 100 Millionen Amerikaner benutzen die Plattform. Ein unverzichtbares Publikum. „Ich glaube nicht“, sagt Martin Fuchs, „dass er es sich erlauben kann, es zu tun.“
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