Das kann ausgelöst worden sein durch den Streit um die Mohammed-Karikaturen, ich halte es aber für wahrscheinlicher, dass es ausgelöst wurde durch ein Fanal, das Nachahmer motiviert. Was ist nicht sehe, ist eine zentrale Steuerung durch den IS.
Gibt es Unterschiede zu den Attacken in Frankreich und Deutschland?
Die Waffe macht den entscheidenden Unterschied. Es gab drei Angriffe mit Messern, in Wien wurde ein Schnellfeuergewehr verwendet. Man wird sich genau anschauen müssen, wie der Täter an die Waffe gekommen ist. Seit den 90er-Jahren gibt es in Westeuropa viele Waffen aus dem früheren Jugoslawien oder der ehemaligen Tschechoslowakei, man muss eine solche Waffe aber erst einmal nach Wien bekommen.
Zuletzt schien es so, dass der IS nicht nur in Syrien und dem Irak darnieder liegt, sondern auch in Europa. Wie sehen Sie das?
Der IS ist immer noch stark. Was er nicht mehr kann, ist große Anschläge über Kontinente hinweg zu planen. Das ist das letzte Mal 2017 in Manchester passiert. Der IS hatte aber immer enorme Rekrutierungserfolge, und die Begeisterung für die Idee eines Kalifats ist unter jungen Menschen in Europa immer noch vorhanden. In Österreich ist die Gefahr zahlenmäßig vergleichsweise groß.
Wie kommen Sie zu dieser Einschätzung?
Das kann man festmachen an der Zahl von Menschen, die in den vergangenen Jahren nach Syrien ausgereist sind. In Deutschland waren es rund 1.000, bei 80 Millionen Einwohnern. In Österreich waren es 250 bei 8,8 Millionen, im Verhältnis ist die dschihadistische Szene in Österreich also doppelt so groß. Sie besteht hauptsächlich aus Tschetschenen und Bosniern, Albaner folgen mit einigem Abstand. Das sind Bevölkerungsgruppen, die meist mit Waffen umgehen können. In Deutschland zählen zur Szene vor allem Türken, von denen es auch in Österreich einige gibt, und Nordafrikaner. Dazu kommen in beiden Ländern Konvertiten.
Was bedeutet das für die Terrorgefahr in Österreich?
Die Hälfte der dschihadistischen Szene in Österreich besteht aus Tschetschenen, viele können mit Waffen umgehen und sind extrem gewaltbereit. Das sieht man auch bei vielen Bosniern.
Wie schätzen Sie die Arbeit des österreichischen Verfassungsschutzes ein? Der Ruf des BVT gilt ja durch den Durchsuchungsskandal unter der letzten Regierung als international beschädigt.
Der Ruf des BVT ist wohl beschädigt worden, ich sehe aber nicht, dass das seine Arbeit behindern würde. Wenn es irgendwo Informationen über einen bevorstehenden Terroranschlag gäbe, etwa bei den Amerikanern, würde das auf alle Fälle weitergegeben.
Können Anschläge wie der in Wien überhaupt verhindert werden?
Bei allen Angriffen in Europa waren es zuletzt Einzeltäter ohne Verbindung zu einer Organisation. Damit haben sogar sehr gut aufgestellte Dienste Probleme. Leider ist es in der Regel so, dass die Täter polizeibekannt waren. Österreich ist besonders liberal, allerdings gehen die Möglichkeiten auch anderswo gegen null, alle Gefährder rund um die Uhr zu beobachten. Dafür müssten Kompetenzen ausgeweitet werden, was politische und rechtliche Probleme mit sich bringen würde.
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