Syrien: Rechenschaft für Assads Opfer könnte in Deutschland beginnen

In Koblenz steht erstmals ein Befehlshaber eines syrischen Geheimdiensts für Folter und Mord vor Gericht. In Österreich gibt es ähnliche Initiativen.

Es ist der weltweit erste Strafprozess zur systematischen Folter durch Angehörige des syrischen Machtapparates.

Mit der Verlesung der Anklage hat am Donnerstag vor dem Oberlandesgericht Koblenz in Deutschland der weltweit erste Prozess gegen mutmaßliche Handlanger des syrischen Machthabers Bashar al-Assad begonnen - unter strengen Corona-Bestimmungen. Jeder Prozessteilnehmer ist von Plexiglas flankiert. 

Der Generalbundesanwalt legt dem Hauptverdächtigen Anwar R. unter anderem 58-fachen Mord und Folter zur Last. Der zweite Angeklagte, Eyad A., muss sich wegen Beihilfe verantworten. Die beiden Männer sollen dem syrischen Geheimdienst angehört haben.

First trial on crimes against humanity in Syria opens in Germany

Anwar R. beim Prozess in Koblenz

Anwar R., ehemals Funktionär des Allgemeinen Geheimdienstdirektorats der Regierung unter Baschar al-Assad, war nach Überzeugung der Anklage der militärische Vorgesetzte des berüchtigten Al-Khatib-Gefängnisses in Damaskus. Unter seiner Befehlsgewalt sollen zwischen April 2011 und September 2012 mindestens 4.000 Häftlinge während ihrer Inhaftierung mit Schlägen, Tritten und Elektroschocks gefoltert worden sein. Mindestens 58 Menschen sollen durch die Misshandlungen ums Leben gekommen sein.

GERMANY-SYRIA-CONFLICT-WARCRIME-TRIAL

Eyad A. beim Prozess

A. soll Mitarbeiter einer Unterabteilung gewesen sein und den Transport von 30 festgenommenen Demonstranten begleitet haben, die bereits auf der Fahrt zum Gefängnis geschlagen worden sein sollen. Nach Überzeugung der Anklage wusste A. bei der Festnahme der Menschen von der systematischen Folter in dem Gefängnis. Bis Mitte August sind in dem Koblenzer Prozess 24 Verhandlungstage angesetzt.

Die Strafanzeigen beruhen auf den Aussagen zahlreicher Frauen und Männer, die in verschiedenen Haftanstalten der syrischen Geheimdienste und der Militärpolizei in Damaskus inhaftiert waren. Hinzu kommen die Fotos und Metadaten der Caesar Files Group mit ihrem einzigartigen Wert für mögliche Ermittlungen.

Die Verlesung der Anklage sei "sehr emotional" und "schwer zu ertragen" gewesen, berichtet Rechtsanwalt Patrick Kroker von der Menschenrechtsorganisation ECCHR dem KURIER. Kroker und das gesamte Team seien froh, dass der erste weltweite Prozess zu den Vorwürfen gegenüber dem syrischen Regime überhaupt über die Bühne geht - unter den aktuellen Umständen.

UN sind die Hände gebunden

Ein Prozess gegen Folterschergen des syrischen Präsidenten mitten in Deutschland. Was merkwürdig anmutet erklärt Rechtsanwalt Wolfgang Kaleck, der mit der NGO ECCHR die Verfolgung der beiden Verdächtigen überhaupt erst ins Laufen gebracht hatte und heute Zeugen in dem Prozess vertritt so: "Die Machtverhältnisse im UN-Sicherheitsrat verhindern derzeit, dass der Internationale Strafgerichtshof oder ein Sondertribunal tätig werden." Damit bleiben vorerst nur Verfahren nach dem Weltrechtsprinzip in mehreren europäischen Staaten wie das vor dem Oberlandesgericht Koblenz.

"Es ist ein Einstieg in die systematische Aufarbeitung der Verbrechen der Assad-Regierung, insbesondere der systematischen Folter. Es ist ein Beginn – nicht mehr, aber auch nicht weniger", sagt Kaleck.

Später könne man auf die Erkenntnisse dieses ersten Prozesses zurückgreifen und auch in anderen Prozessen - in anderen Ländern - ein Gesamtbild über das syrische Regime zeichnen. "Man muss den Tatbeitrag und die Schuld der beiden Angeklagten vor dem Hintergrund des gesamten verbrecherischen Apparats in Syrien einordnen."

Österreich enttäuschend

Auch in Österreich gibt es ein ähnliches Vorhaben, ebenso wie in Frankreich, Schweden und Norwegen. "Das Ziel ist", so Kaleck, "hochrangige Funktionäre des Geheimdienstapparats von Assad vor Gericht zu bringen – denn sie sind verantwortlich für Folter, sexuelle Gewalt, Hinrichtungen und das Verschwinden zehntausender Menschen in Syrien."

Doch von den Fortschritten in Österreich sind die Juristen beim ECCHR enttäuscht. Von den 16 Zeugen, die in Österreich ausgeforscht worden waren, ist bisher erst einer von der Staatsanwaltschaft Wien vernommen worden, berichtet Patrick Kroker vom ECCHR dem KURIER. "Wir hatten uns von der österreichischen Justiz mehr erwartet. Immerhin lebt dort eine große Anzahl von geflüchteten Syrern und es gibt ein gut funktionierendes Justizsystem." Es handle sich um eines der größten Verbrechen - Österreich habe die Chance, bei der Aufklärung mitzuhelfen.

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