“Viele Männer können den gesellschaftlichen Fortschritt der Frauen nicht ertragen”
Der Yale-Professor Jeffrey Alexander beschäftigt sich seit Jahren mit Rechtspopulismus. Im KURIER-Interview erklärt er, warum der Feminismus Rechten zum Erfolg verhilft - und Obama den USA Trump "bescherte".
Die Demokratie verhält sich wie ein Pendel, sagt Jeffrey Alexander bei einem Kaffee in Wien. Seine These: Immer, wenn eine politische Strömung gesellschaftliche Veränderungen herbeiführt, gewinnt die Gegenbewegung an Bedeutung. So lasse sich auch der aktuelle Aufstieg von Rechtspopulisten in westlichen Demokratien erklären.
Im KURIER-Gespräch erklärt der renommierte US-amerikanische Sozialforscher, warum es ein Fehler ist, Rechtspopulisten grundsätzlich als anti-demokratisch abzustempeln, warum der Einfluss Sozialer Medien auf die Gesellschaft "überschätzt" wird und der Feminismus "die größte gesellschaftliche Revolution der Geschichte" ist.
Jeffrey Alexander ist einer der weltweit renommiertesten Sozialwissenschaftler. An der Yale-Universität gründete er 2001 das Zentrum für kulturelle Soziologie, wo er bis heute lehrt. Seine Arbeit beschäftigt sich unter anderem mit dem kollektiven gesellschaftlichen Trauma des Holocaust oder dem heutigen Aufstieg des (Rechts-)Populismus.
Am Montag hielt der renommierte US-amerikanische Sozialforscher auf Einladung der Universität Wien und des Instituts für Höhere Studien (IHS) im Rahmen der Marie Jahoda Summer School einen Gastvortrag über die Widerstandsfähigkeit der Zivilgesellschaft in Zeiten zunehmender Polarisierung.
KURIER: Sie forschen viel zum Aufstieg des Populismus, zur zunehmenden Polarisierung in westlichen Demokratien. Zuletzt zeigte sich beides bei der Parlamentswahl in Frankreich deutlich. Sehen Sie das Ergebnis als Sieg der Demokraten und der Zivilgesellschaft?
Jeffrey Alexander: Definitiv. Nach den Europawahlen hieß es, westliche Demokratien würden sich in Richtung Faschismus bewegen - und jetzt ist der Rassemblement National auf dem dritten Platz. Es hat sich herausgestellt, dass Macrons Entscheidung, Neuwahlen auszurufen, richtig war, auch, wenn es für ihn persönlich nicht funktioniert hat.
Ist die Wahl trotz des einzigartigen Wahlsystems in Frankreich ein Beispiel dafür, dass man Rechtspopulisten in Schach halten kann, indem man eine breite Koalition gegen sie bildet - oder macht man sie damit langfristig nur stärker?
Das französische Wahlsystem mit seinen zwei Durchgängen ist ein interessanter Weg, um politische Extremen zu moderieren. Ich denke, es sollte grundsätzlich mehr Koalitionen zwischen Mitte- und Linksparteien geben.
Das lehrt uns auch die Geschichte: Dass der Nationalsozialismus in Deutschland so stark werden konnte, lag auch daran, dass die Kommunisten und Sozialisten einander gegenseitig stärker hassten als Hitler. Hätten damals mehr Parteien zusammengearbeitet, glaube ich, hätte der Aufstieg der Nationalsozialisten verhindert werden können.
Es war der Wahlsieg Obamas, der uns letztlich Donald Trump beschert hat. Weil Millionen von Menschen nicht damit klarkamen, dass ein schwarzer Mann Präsident werden konnte.
von Jeffrey Alexander
über die typischen gesellschaftlichen Gegenbewegungen
Warum funktioniert Populismus auf der rechten Seite des politischen Spektrums so viel besser als auf der linken?
Ich denke, um den Erfolg der Rechtspopulisten zu verstehen, muss man anerkennen, dass westliche europäische und nordamerikanische Gesellschaften seit den 1960er Jahren eine kulturelle Revolution durchlaufen haben, hauptsächlich getragen von Frauen und nicht-weißen Menschen.
Der Feminismus ist meiner Meinung nach die tiefgreifendste Revolution der Geschichte. Er hat die sozialen Beziehungen zwischen Männern und Frauen verändert - und die waren in der Menschheitsgeschichte immer gleich: Männer waren über-, Frauen untergeordnet.
Die Gegenreaktion darauf ist der Maskulinismus, also die Wut von Männern, viele davon aus prekären sozialen Verhältnissen, aus der Arbeiterklasse. Das ist eine Reaktion auf die Revolution der Geschlechter, die damals mit den Frauen begann, aber inzwischen auch von Homo-, Bi- und Transsexuellen getragen wird. Viele rechte Politiker greifen diesen Maskulinismus auf.
Rechtspopulismus ist also heute erfolgreich, weil linke Ideologien jahrzehntelang kulturell tonangebend waren?
Absolut. Es gibt immer Gegenreaktionen auf gesellschaftliche Revolutionen, sie sind unvermeidlich. Das Pendel schwingt sozusagen immer wieder hin und her. Ein weiteres Beispiel war die Öffnung der US-Politik gegenüber der afroamerikanischen Bürgerrechtsbewegung in den 1960er-Jahren. Solche antirassistischen Veränderungen brachten immer enorm rassistische Gegenbewegungen mit sich.
Wenn man diesen Gedanken weiterführt, kann man sagen: Es war der Wahlsieg Obamas, der uns letztlich Donald Trump beschert hat. Weil Millionen von Menschen nicht damit klarkamen, dass ein schwarzer Mann Präsident werden konnte.
Auf dieselbe Weise können viele Männer heute den gesellschaftlichen Fortschritt der Frauen nicht ertragen. Ich denke, das ist der Kern des modernen Rechtspopulismus.
Das heißt also: Jetzt dominiert wieder die politische Rechte für ein paar Jahre, dann vergeht das von alleine wieder?
So verhält sich demokratische Politik fast immer. Man muss rechte Reaktionen auf linke Bewegungen zulassen. Man kann keine Gesellschaft haben, die nur linksgerichtet ist. Demokratien sind pluralistisch, es gibt unterschiedliche Meinungen, regionale Kulturen, verschiedene Religionen und ethnische Gruppen.
Die Frage ist nur: Kann die rechte Bewegung eine demokratische Bewegung sein, die Spielregeln respektieren und es zulassen, dass das Pendel anschließend wieder zurückschwingen kann? Das Gefährliche an Trump ist nicht, dass er ein Konservativer ist, sondern, dass er mit dem Sturm aufs Kapitol versucht hat, den Wahlprozess zu untergraben.
Ein Argument von Rechtspopulisten mit antidemokratischer Haltung ist oft, dass ihnen im demokratischen System zu wenig Raum gegeben wird, um ihre Meinung zu äußern.
Das glaube ich nicht. Rechte konnten immer ihre Meinung frei äußern, sie mussten nur den Gegenwind ertragen. Es gibt vielerlei rechtsgerichtete Medien, in den USA seit 20 Jahren Fox News, den öffentlichen Raum gab es also.
Ich glaube, worüber sie sich wirklich beschweren, ist, dass sie mit ihren Meinungen zu den Themen Geschlecht, Migration und dem Umgang mit ethnischen Minderheiten verloren haben. Und sie haben das Gefühl, dass diese gesellschaftlichen Veränderungen nicht mehr mit demokratischen Mitteln aufzuhalten sind.
Was ja auch stimmt: Es sind tiefgreifende, fundamentale Transformationen der Position von Frauen und Nicht-Weißen in westlichen Gesellschaften. Diesen Geist wollen Rechtspopulisten sozusagen wieder zurück in die Flasche stecken.
Sie wollen also sozusagen die Zeit zurückdrehen - warum zieht das oft so junge Wählergruppen an, die die Zeit vor der Globalisierung, vor dem Aufkommen des Feminismus nie erlebt haben?
Diese Jungwähler werden Teil dieser Bewegungen, aber sie haben sie nicht geschaffen. Trotzdem sind sie für sie ansprechend, weil sie den Traum von Stabilität, von Sicherheit vermitteln.
Das rührt daher, dass unsere moderne Gesellschaft fragmentiert ist, wettbewerbsfähig, offen und unbestimmt. Es gibt im Grunde nichts Unveränderliches mehr. Für viele Menschen ist das eine beunruhigende Situation.
Fußt die heutige Polarisierung in westlichen Gesellschaften nicht in Wahrheit auf einem Konflikt zwischen Stadt- und Landbevölkerung, die in unterschiedlichem Maße von der Globalisierung profitieren?
Da würde ich widersprechen. Konflikte zwischen Stadt und Land gab es schon immer. Es waren zum Beispiel US-amerikanische Bauernaufstände, die im 19. Jahrhundert den Begriff des Populismus prägten, als sie sich darüber beschwerten, dass sie nicht die richtigen Preise für ihre Waren bekamen.
Aber hatten nicht auch diese Aufstände in erster Linie wirtschaftliche Gründe?
Das stimmt natürlich. Andererseits waren schon damals viele Stadtbewohner Einwanderer. Und so waren wieder ethnische Auseinandersetzungen die überlagernden Themen, genau wie heute.
Die meisten Menschen leben ja nicht in Innenstadtbezirken oder abgelegenen Farmen. Sie leben in Räumen zwischen Stadt und Land: In Kleinstädten, in Vorstädten, in Außenbezirken.
Bekommen extreme Meinungen und Verschwörungstheorien im Zeitalter des Internets und der sozialen Medien einfach leichter Raum? Oder werden sie wirklich stärker?
Nun, wann könnten sie je stärker gewesen sein als zur Zeit der Weimarer Republik in den 1920er-Jahren? Oder in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, als Europa faschistisch, nationalsozialistisch wurde und an den Rand der völligen Zerstörung kam? Damals gab es kein Internet.
Die Leute überbetonen die Rolle der sozialen Medien. Wir vergessen, wie schlimm es schon immer gewesen ist. Diese Periode von 1945 bis zum Jahr 2000 wird, denke ich, im Nachhinein als ungewöhnlich stabil betrachtet werden.
Hängt das nicht auch mit der geopolitischen Situation zusammen? Nach dem Zerfall der Sowjetunion waren die USA dreißig Jahre lang allein die bestimmende Weltmacht. Heute, durch den Aufstieg Chinas, erleben wir wieder eine Blockbildung.
Die Zeit der US-Dominanz war sicherlich eine sehr ungewöhnliche Situation. Ich finde es entmutigend, dass sich gerade ein neuer, schrecklich autoritärer Block aus Russland und China etabliert. China ist dabei das viel gefährlichere Land für westliche Werte, weil es eine wirklich große Zivilisationen ist, ein seit 3.000 Jahren stabiles, autoritäres Regime.
Bis vor kurzem gab es im Westen noch eine gewisse Naivität, dass die Einführung des Kapitalismus zwangsläufig auch die Demokratie nach China bringen würde. Aber das Regime hat bewiesen, dass es sich auch an den Kapitalismus anpassen kann.
Ist das nicht eine neue Gefahr für unsere Demokratien, wenn dieser autoritäre Block versucht, unsere Wahlen zu beeinflussen?
Natürlich versuchen sie, unsere Demokratien zu destabilisieren, wäre ja auch dumm, wenn sie es nicht täten. Und natürlich helfen soziale Medien ihnen dabei. Aber ich denke nicht, dass das unser Hauptproblem ist.
Sie haben versucht, Trump 2016 und 2020 zum Sieg zu verhelfen. Trotzdem hat er 2020 verloren. Viel bedeutsamer war, dass Hillary Clinton eine schlechte Kandidatin war und Joe Biden 2020 ein guter Kandidat. Ich denke, wir sollten nicht unterschätzen, wie stark sich auch viele Rechte zu demokratischen Werten bekennen.
Ist es ein Vorurteil, dass Rechte oft als undemokratisch abgestempelt werden?
Ja, ich denke, das ist ein Fehler der Linken. Aber die Rechten machen das genauso. Beide Seiten dämonisieren die jeweils andere, das gehört dazu, wenn man in einer Demokratie um Macht kämpft. Polarisierung entsteht in jeder Gesellschaft, die soziale Spannungen zulässt. In China gibt es das nicht, weil das Regime es nicht zulässt.
Was ich jedenfalls durch Trumps Erfolge gelernt habe, ist, dass wir klarer zwischen rechten politischen Werten und antidemokratischen Ansichten unterscheiden müssen. Denn Erstere mag ich zwar persönlich ablehnen, aber letztere sind eindeutig eine Gefahr für die Demokratie.
Wäre die Demokratie in den USA im Falle eines zweiten Trump-Sieges in Gefahr?
Ich halte Trump für einen gefährlichen Demagogen ohne Prinzipien. Er schert sich nicht um die Demokratie, ihm geht es nur ums Gewinnen, um Geld, um Macht. Aber ich glaube nicht, dass er in der Lage wäre, all die Dinge zu tun, die er im Wahlkampf androht. Bisher wurde jeder Präsident durch die Gewaltenteilung, den Regionalismus und Föderalismus der Vereinigten Staaten lahmgelegt.
Ich glaube auch nicht, dass der Oberste Gerichtshof unter seiner Kontrolle steht, wie linke das oft beklagen. Auch die von ihm eingesetzten Höchstrichter würden nicht zulassen, dass Trump die amerikanische Demokratie zerstört. Denn die meisten Konservativen in den USA glauben an die Demokratie, die sind keine Faschisten. Trump selbst könnte einer sein.
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