Wie blicken Sie auf die Lage in Europa? Dort hegen rechtspopulistische und teils rechtsextreme Parteien ähnliche Interessen.
Wir müssen damit rechnen, dass diese Tendenzen in allen Demokratien auftauchen. Diese Bewegungen kommen durch demokratische Mittel an die Macht – durch Wahlen oder Meinungsfreiheit, als deren Opfer sie sich sehen. Aus diesem Grund hat schon Platon Kritik an der Demokratie geübt. Vor allem dort, wo es Nationalismus gibt, gibt es Tendenzen für Faschismus – in Ungarn, wo Orbán die Presse angreift, Gegner durch Steuern und Gesetze bestraft oder aus dem Land gewiesen werden. Putin ist klar ein Faschist – andere Meinungen werden mundtot gemacht, politische Gegner in Lager gesteckt.
Kritiker werfen Ihnen vor, viel zu schnell den Faschismus-Begriff über rechtspopulistische Parteien zu stülpen. Es gibt doch einen Unterschied.
Ich habe ein Problem mit dem Begriff Rechtspopulismus: Denn Populismus ist nichts Schlechtes. Wer will nicht die Stimme des Volkes und gegen Elitarismus sein? Populisten sind ja nicht automatisch anti-demokratisch. Wir müssen eher aufhören, den Ausdruck Rechtspopulismus zu verwenden, weil wir damit Gefahr laufen, anti-demokratische, faschistische Tendenzen, die von Parteien ausgehen, nicht zu benennen.
Trump ist kein Populist, weil hinter ihm die Millionäre der Republikaner stehen und seinen Wahlkampf finanzieren. Björn Höcke (AfD-Chef Thüringen, Anm.) ist etwa klar ein Faschist.
Sie charakterisieren Faschismus durch das Prinzip Spaltung. Damit arbeiten aber so gut wie alle Parteien, je nach Ethnie, Klasse, Geschlecht. Gibt es „bessere“ und "schlechtere" Spaltung?
Die Abgrenzung ist notwendig, um Interessen zu artikulieren. Man muss sich aber fragen: Was ist das Ziel einer Gesellschaft und wie ist es zu erreichen? Bei Arm gegen Reich geht es um Ungleichheit, die sich durch Umverteilung verändern lässt und einer großen Mehrheit zugutekäme. Die Spaltung zwischen Ethnien oder Religionen nutzt einer Gesellschaft aber wenig. Und ist ohne furchtbare Maßnahmen ergreifen zu müssen auch nicht überwindbar.
Erkennen Sie faschistische Tendenzen auch in linksgerichteten Parteien?
Historisch gab es natürlich verschiedene Formen des Kommunismus, wie den Stalinismus, die anti-demokratisch waren. Aber aktuell droht diese Gefahr – anders als in den 30er-Jahren – von Faschisten, nicht Kommunisten. Auch wenn davor im polemischen Diskurs gern gewarnt wird.
Was ist also die Lösung? Wie sieht eine wehrhafte Demokratie aus?
Franklin Roosevelt hat in den 1930ern mit seinem New Deal, also Wirtschafts- und Sozialreformen, geschafft, die Demokratie während der Weltwirtschaftskrise zu bewahren – anders als in Deutschland. Ich weiß nicht, ob das so wieder gelänge. In einer Demokratie trägt auch die Bevölkerung Verantwortung für die Richtung, in die sie sich entwickelt. Sie muss gegenüber ihren Politikern skeptisch bleiben, sie kontrollieren und abwählen.
Im Moment sehe ich faschistische Tendenzen eher erstarken. Wir leben in einer sehr individualisierten Gesellschaft. Hannah Arendt beschrieb diese Kultur als eine, die zu Faschismus führen kann. Wenn man einsam ist, sucht man eine kollektive Identität. Das ist das Erfolgsgeheimnis von Nationalismus und Faschismus.
Kommentare