China-Experte Mikko Huotari: "China will den Westen spalten"

China-Experte Mikko Huotari, Direktor des Mercator Instituts für Chinastudien (MERICS) in Berlin.
Der Direktor des Mercator Instituts für Chinastudien (MERICS) berät unter anderem die deutsche Regierung zum richtigen Umgang mit Peking. Mit dem KURIER sprach er darüber, wie der aussehen müsste.

Als die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock im Juli die erste deutsche China-Strategie präsentierte, tat sie das bei einer Diskussionsrunde im Berliner Mercator Institut für Chinastudien (MERICS). Zehn Jahre nach seiner Gründung berät das 20-köpfige Expertenteam Unternehmen und Regierungen in ganz Europa beim Umgang mit der Volksrepublik – und steht seit zwei Jahren in Peking auf der Sanktionsliste.

➤ Mehr dazu: Deutschlands neue China-Strategie - die Wirtschaft ist skeptisch

Seit 2014 ist der Politologie und studierte Pianist Mikko Huotari bei MERICS, seit 2020 leitet er das Institut. Im KURIER-Gespräch blickt der Direktor zurück auf zehn Jahre China-Forschung und wagt einen Ausblick auf die chinesisch-europäischen Beziehungen.

KURIER: Ihr Institut feierte im November sein zehnjähriges Bestehen. Wie hat sich China seither verändert?

Mikko Huotari: Damals waren das Land und seine Zukunft in vielerlei Hinsicht offen. Als Xi Jinping 2013 an die Macht kam, war zunächst unklar, welchen Pfad er einschlagen würde. Ein Großteil der Beobachter hielt an der Idee fest, dass das Land sich weiter öffnen und eine ambitionierte, aber verantwortungsvolle Großmacht werden würde.

Über die letzten Jahre ist aber klar geworden, dass die erhoffte politische Annäherung zum Westen nicht stattgefunden hat. Die grundsätzliche Perspektive hat sich also verschoben – auch, wenn es ein gemischtes Bild bleibt. China hat sich von einem Land der Chancen zu einer enormen strategischen Herausforderung entwickelt.

Ist damit nicht auch der Stellenwert von China-Forschung enorm gestiegen?

Ja, und zwar bis in die höchsten Kreise politischer Entscheidungsträger. Angefangen bei Staatschefs und EU-Kommissionspräsidenten, aber natürlich auch in Unternehmerkreisen. Es ist klar: China sowohl in der Analyse als auch in der strategischen Bearbeitung richtig zu behandeln, ist heute eine Staatsaufgabe – und eben auch eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung. Es geht dabei nicht nur darum, wie man bessere Geschäfte macht und sich geopolitisch klug positioniert, sondern schon ums Eingemachte: um Fragen des Wohlstands und der Sicherheit Europas.

Wie hat die Entwicklung Ihre Arbeit beeinflusst? Sie beraten ja inzwischen sogar die deutsche Regierung …

Wir freuen uns natürlich über die Nachfrage und Aufmerksamkeit von Partnern und Abnehmern unserer Analysen in Wirtschaft und Politik. Wir werden aber auch von Trends beeinflusst, die uns die Arbeit erschweren: Der Zugang zu China wird schwieriger, die Debatte zunehmend politisiert. Dabei analytisch nüchtern zu bleiben, weiterhin zu einem differenzierten Bild beizutragen, bleibt eine zentrale Aufgabe für die Forscherinnen und Forscher.

In der neuen deutschen China-Strategie, an der Ihr Institut beratend beteiligt war, ist gleichzeitig von einem „Partner, Wettbewerber und Rivalen“ die Rede. Wie geht man mit China richtig um?

Die Zeit der Naivität muss vorbei sein. Die Lektionen aus den letzten Jahren sind relativ klar, sowohl was die chinesische Wirtschaftspolitik angeht als auch die innen- und außenpolitische Entwicklung. Das heißt nicht, dass man alle Beziehungen zu Peking abbrechen sollte. Aber es braucht mehr Risikobewusstsein. 

Sicherheitspolitischen und geostrategischen Fragen muss eine größere Rolle bei der Bewertung von wirtschaftlichen Chancen, die es unbestreitbar noch gibt, eingeräumt werden. Risikominderung („De-Risking“, Anm.) und Diversifizierung sind die Gebote der Stunde. Europa muss anerkennen, dass China uns einen Systemwettbewerb anträgt. 

Die Führung in Peking ist nicht nur entschlossen, sondern fähig und geschickt darin, sich in diesem Wettbewerb durchzusetzen. Angesichts dessen sollte sich kein Staat oder Unternehmen heute noch alleine mit China beschäftigen; auf Unternehmensseite braucht es das Gewicht der Wirtschaftsverbände, auf staatlicher Seite jenes der Europäischen Union.

China versucht aber eben umgekehrt, immer nur mit einzelnen europäischen Akteuren zu sprechen.  Frankreichs Präsident Macron wurde etwa eine Woche lang in Peking hofiert und meinte danach, der Taiwan-Konflikt sei kein Problem Europas. Tritt die EU geeint genug gegenüber Peking auf?

Das bleibt eine riesige Aufgabe. Aber Europa ist dahin gehend gar nicht so schlecht aufgestellt, in zentralen Fragen gibt es relativ viel Einklang. Etwa mit Blick auf die politische Entwicklung Chinas, die stärkere Kontrolle chinesischer Investitionen, die Einschätzung der Beziehung zwischen China und Russland oder die Notwendigkeit einer europäischen Position im Taiwan-Konflikt.

➤ Mehr dazu: Macrons falsches Signal

Entscheidungsträger in Europa haben aber zu Recht eine sehr unterschiedliche Einschätzung ihrer direkten Betroffenheit von China. Es ist eine Daueraufgabe und systemische Herausforderung, in Europa Einigkeit gegenüber China zu wahren.

China-Experte Mikko Huotari: "China will den Westen spalten"

"In der Weltsicht von Xi Jinping ist fest verankert, dass ein großer Führer historische Möglichkeiten nutzen muss, die sich ihm bieten", sagt Mikko Huotari.

Chinas Wirtschaft hat sich 2023 deutlich schlechter von der Pandemie erholt als erwartet. Könnte diese Stagnation dazu führen, dass das Land in Zukunft weicher auftritt?

Ich glaube, dass wir taktische Anpassungen in der Außenpolitik und wirtschaftspolitische Korrekturen sehen werden, aber keinen Strategiewechsel. Wenn überhaupt, wird Xi Jinping versuchen, aus dieser Lage heraus übergeordnete Ziele durchzusetzen. Mit Blick auf Europa heißt das weiterhin: China will den Westen spalten.  Die Führung in Peking hat ein Interesse daran, dass Europa möglichst harmlos bleibt und sich auf die Wirtschaftsbeziehungen konzentriert. 

Wir stehen also vor der doppelten Herausforderung, dass ein selbstbewusstes China sich weiterhin international durchsetzen will und ein schwächelndes, stärker auf sich selbst konzentriertes China nicht mehr Triebkraft der Weltwirtschaft und der Wachstumsaussichten europäischer Unternehmen sein wird.

Auch mit Blick auf Taiwan ist die Sorge groß, dass ein schwächelndes China eher angreifen könnte. Für wie real halten Sie die Gefahr?

Die Taiwan-Frage ist zweifellos eine höchst politische und auch persönliche für Xi Jinping. Deshalb tragen unsere Annahmen zur wirtschaftlichen Sinnhaftigkeit eines Konflikts leider, wie auch im Falle der russischen Invasion in der Ukraine, höchstwahrscheinlich nicht weit. Aber: Keine Seite will einen Krieg und ich glaube nicht, dass es richtig ist, sich auf die Wahrscheinlichkeit einer großen, amphibischen Landeinvasion zu konzentrieren. Dieses Szenario braucht es gar nicht, um den Konflikt ernst zu nehmen.

In der Weltsicht von Xi Jinping ist fest verankert, dass ein großer Führer historische Möglichkeiten nutzen muss, die sich ihm bieten. Wenn also die USA innerlich zerfasern, der Westen uneinig auftritt und Chinas Aufrüstung weiter voranschreitet, dann gibt es ein Restrisiko, dass Xi eines Morgens aufwacht und denkt: „Jetzt habe ich die Gelegenheit.“

Ihr Institut und seine Mitarbeiter stehen seit 2021 in China auf der Sanktionsliste, dürfen dort nicht mehr einreisen. Hat das Ihre Arbeit verändert?

Die Sanktionen gegen MERICS sind ein Symptom der wachsenden Spannungen zwischen der EU und China. Auf die Menschenrechtssanktionen der EU gegenüber China hat Peking mit einer Eskalation reagiert und nicht nur politische Entscheider, sondern auch Parlamentarier, Forschungsinstitute und zivilgesellschaftliche Kräfte sanktioniert. All das geschah während der Corona-Pandemie.

Mehr zur Menschenrechtslage in China: "Europa nimmt diesen Genozid nicht ernst"

Der Teil der Sanktionen, der für uns schmerzhaft ist – nämlich das Einreiseverbot – hat uns somit zunächst nicht betroffen, weil die Einreise während der Abriegelung Chinas ohnehin kaum möglich war.  Trotzdem: MERICS versammelt eine der größten Gruppen von China-Freunden und -Kennern in Europa. Wir haben alle viel Zeit unseres Lebens in dem Land verbracht, haben weite Netzwerke und zum Teil Familienangehörige dort. Das ist also nichts, was uns unberührt lässt.

Kommentare