So schlecht steht es um die ukrainische Energie-Infrastruktur
Blackouts, zerstörte Umspannwerke, bombardierte Reservegeneratoren – die massiven russischen Raketenangriffe auf zahlreiche Städte in der Ukraine dürften zahlreiche Menschen getötet und verwundet haben, gleichzeitig scheinen sie auf die Zerstörung der Energieinfrastruktur des Landes ausgerichtet zu sein. Bereits nach der militärischen Niederlage im Oblast Charkiw ließ Russlands Präsident Waldimir Putin Strom- und Heizkraftwerke in der Region bombardieren – nach dem Anschlag auf die Brücke von Kertsch scheint er die Angriffe auf die gesamte Ukraine auszuweiten.
Damit erfüllt Putin die Forderungen des Hardliner-Flügels, der bereits nach den ersten Bombardements der Halbinsel Krim eine Vernichtung der Kritischen Infrastruktur verlangt hatte.
Bereits vor den Bombardements am Montag waren laut Regierung rund 50.000 Gebäude sowie 350 zentrale Heizungsanlagen seit Kriegsbeginn beschädigt worden. Noch ist das Schadensausmaß der Raketenangriffe vom Montag unklar.
Die ukrainische Regierung wollte sich Anfang September gegen den Ernstfall wappnen: "Wir bereiten uns darauf vor, dass Russland Energieobjekte angreifen wird. Und wir sind bereit, schwer, aber stabil durch den Winter zu kommen", kündigte Ministerpräsident Denys Schmyhal damals an. Bei sehr niedrigen Temperaturen plane die ukrainische Regierung zudem eine Evakuierung der Lokalbevölkerung, falls die beschädigte Infrastruktur ihre Funktionsfähigkeit nicht binnen ein, zwei Tagen wieder aufnehmen könne.
Alles wird von der Härte des Winters abhängen: Für die kommende Heizsaison hat die Regierung einen Vorrat von 19 Milliarden Kubikmeter Gas als Ziel gesetzt, doch Mitte Oktober werden in den Speichern nur etwas mehr als 14 Milliarden Kubikmeter Gas sein.
Einen Sicherheitspuffer für einen kalten Winter gibt es nicht, und es gibt zusätzliche Risiken: Ein bedeutender Teil der Gasfelder befindet sich im Bezirk Charkiw nahe der Frontlinie - weitere Schädigungen sind also möglich.
Kohle und Atomstrom
Die Industrie verbraucht nach Schätzungen des Zentrums für wirtschaftliche Strategie zwar 64 Prozent weniger Strom, die Bevölkerung 24 Prozent weniger, doch ohne Infrastruktur könnte diese Rechnung für einige Teile des Landes obsolet werden. Ein weiteres Risiko sind die Kohlereserven: Schon 2014 verlor die Ukraine durch den Donbass-Krieg die Mehrzahl ihrer Bergwerke, was zuletzt im Winter 2021/22 zum Problem wurde: Steinkohle zu importieren, war immer schwierig, und so wurden im Jänner 2022 erstmal in der ukrainischen Geschichte alle bestehende Atomblöcke aktiviert. Allerdings hält Russland unter anderem das AKW Saporischschja besetzt. Dieses ist für rund ein Viertel der ukrainischen Stromversorgung verantwortlich.
Das Deutsche Rote Kreuz (DRK) hatte bereits Ende August vor einer weiteren Zuspitzung der Situation für die Zivilbevölkerung im Winter gewarnt. „Vor allem Unterkünfte fehlen, das ist das, was die Bevölkerung am meisten braucht“, sagte Oana Bara, Globale Kommunikationsdelegierte des DRK, damals der Nachrichtenagentur Reuters. „Und Brennholz, womit am meisten geheizt wird, ist sehr teuer. Alles ist teurer geworden, das betrifft das ganze Land.“
Es ist nicht unwahrscheinlich, dass heute, Montag, noch weitere russische Vergeltungsschritte beschlossen werden: Putin beruft im Laufe des Tages seinen Nationalen Sicherheitsrat ein, an dem es unter anderem zu personellen Veränderungen im Verteidigungsministerium kommen könnte.
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