Scholz-Antrittsrede in Spielfilmlänge: 90 Minuten für den Fortschritt

German Chancellor Scholz gives government declaration in the Bundestag, Berlin
Der neue deutsche Bundeskanzler referierte in Überlänge über unterschiedlichste Themen, im Fokus standen vor allem die Corona- und die Klimakrise.

Es war eine der längsten Antrittsreden eines deutschen Kanzlers jemals. Gute 90 Minuten lang sprach der neue deutsche Regierungschef Olaf Scholz (SPD) am Mittwoch im Bundestag, dabei griff er fast jedes Thema auf, das Teil des Ampel-Koalitionsvertrags war und betonte immer wieder, dass man nun eine Etappe des Fortschritts in der Bundesrepublik einläuten wolle.

Gleich beim Eröffnungsstatement gab es erstmals lauthals Gelächter von aus den Rängen der AfD-Abgeordneten. In den folgenden eineinhalb Stunden sollten sie immer wieder mit Zwischenrufen und Gelächter versuchen, den Neu-Kanzler aus der Fassung zu bringen.

Ein Auszug aus den unterschiedlichen angesprochenen Themenbereichen:

Corona: "Minderheit der Hasserfüllten"

Mit seinem ersten inhaltlichen Schwerpunkt sprach Scholz die AfD-Fraktionsmitglieder zwar nicht direkt an, es war aber klar, dass sie mit gemeint waren: "Heute könnte jede Bürgerin und jeder Bürger in Deutschland zweifach geimpft sein, jeder Risikopatient dreifach. Dann hätten wir die Pandemie jetzt im Griff. Dann hätten wir die persönlichen Freiheiten. Das hätte uns der wissenschaftliche Fortschritt ermöglicht", so Scholz.

Und weiter: "Leider gibt es aber auch eine andere Entwicklung in diesem Land: Wirklichkeitsverleumdung, absurde Verschwörungsgeschichten, mutwillige Desinformation und gewaltbereiter Extremismus. Eine kleine, extremistische Minderheit in unserer Gesellschaft hat sich von unserem Gemeinwesen und unserem Staat abgewandt - nicht nur von Wissenschaft, Rationalität und Vernunft."

Die neue Regierung werde es sich nicht gefallen lassen, "dass eine winzige Minderheit von enthemmten Extremisten versucht, unserer gesamten Gesellschaft ihren Willen aufzuzwingen. Minderheit der Hasserfüllten, die uns alle angreift, werden wir mit allen Mitteln unseres demokratischen Rechtsstaats entgegentreten", so Scholz. "Unsere Demokratie ist eine wehrhafte Demokratie."

Merkel: "Gelebte Überparteilichkeit"

Anschließend dankte Scholz ausgiebig seiner Vorgängerin. Angela Merkel habe Deutschland "in 16 Jahren in eindrucksvoller Weise gedient". Er werde sein Bestes versuchen, die von ihr vorgelebte Überparteilichkeit als Kanzler ebenso vorzuleben.

Klima-Krise: "Neue Wege auch dort, wo Altes noch zu funktionieren scheint"

Zur klimapolitischen Ausrichtung der neuen Regierung sagte Scholz: "Die Menschengemachte Erderwärmung muss aufgehalten werden, die Pariser Klimaziele gelten. Vor uns liegen 23 Jahre, in denen wir aus den fossilen Brennstoffen aussteigen müssen und aussteigen werden." Im internationalen Vergleich sei Deutschland ein starkes, erfolgreiches und wohlhabendes Land. "Made in Germany ist seit über 100 Jahren weltweit ein Gütesiegel", so Scholz weiter. Deshalb sei die Versuchung natürlich groß, weiter auf vorhandene Erfolgsrezepte zu setzen.

Das Kaiser Wilhelm II. nachgesagte Zitat "Ich glaube an das Pferd, das Auto ist eine vorübergehende Erscheinung" zog Scholz hier als Beispiel einer Denkweise heran, die Fortschritt behindere: "Das war ein Irrtum, hätte sich diese Sichtweise durchgesetzt, dann wäre Deutschland ein anderes, ein ärmeres, ein rückständigeres Land. Deshalb werden wir künftig neue Wege einschlagen - auch dort, wo Altes noch gut zu funktionieren scheint."

Rassismus und Sexismus: "Gleichstellung muss endlich Realität werden"

Zu dem Problem des Rassismus in Deutschland sagte Scholz: "Wir sind ein Einwanderungsland, oder, wie schon unser Präsident (Steinmeier, Anm.) gesagt hat: Ein Land mit Migrationshintergrund. Aber wir müssen auch ein gutes Integrationsland werden." Auch den systematischen Sexismus wolle die neue Regierung bekämpfen: "Die Gleichstellung von Frauen und Männern muss in diesem Land endlich Realität werden. Wirkliche Gleichstellung heißt: Gleicher Einfluss, gleiche Macht, gleiche Möglichkeiten. Und: Gleicher Lohn für gleiche Arbeit."

Um 10:31 Uhr brachte Scholz die Kanzlerrede in Überlänge letztlich zu einem hoffnungsvollen Ende: "Wir haben nicht den geringsten Grund, uns vor der Zukunft zu fürchten. Wenn wir zusammenhalten, wenn wir uns ehrgeizige Ziele setzen und dem Fortschritt die richtige Richtung geben, wenn dir den Aufbruch entschlossen beginnen, dann werden wir nicht nur die Corona-Pandemie hinter uns lassen, sondern wir werden gemeinsam erfolgreich sein. Dafür arbeiten wir mit all unserer Kraft - und mit dieser Arbeit fangen wir jetzt an."

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