Olaf Scholz: So tickt der "neue Merkel"
Machtwechsel in der Politik werden oft unschön vollzogen: Oft treten die an der Spitze stehenden Personen unfreiwillig ab – und andere ihnen nach. Bei Angela Merkel ist das anders. Sie hat ihren Rückzug selbst eingeleitet und nutzte ihre Abschiedstour auf dem internationalen Parkett, um ihren Nachfolger – den bisherigen Vizekanzler und Finanzminister – vorzustellen. Sollten doch alle beim G20-Gipfel sehen: Deutschland bleibt stabil.
Scholz konnte nichts Besseres passieren. Allerdings verstehen sich der Sozialdemokrat und die Christdemokratin ohnehin gut, haben lange zusammengearbeitet und sind sich vom Typ ähnlich: ruhig, nüchtern, überlegt.
Und selbst, wenn sich die Kanzlerin zuletzt mal grämte, weil er sich im Wahlkampf schon staatsmännisch gab und am Cover der Süddeutschen Zeitung ihre Rauten-Geste übte, sie trüge es nicht vor sich her. Merkel habe ihr Ego und ihre Emotionen immer im Griff gehabt, resümierte Fotografin Herlinde Koelbl, die ihren Aufstieg begleitete.
Was beide eint
Es ist eine Fähigkeit, die Scholz mit Merkel verbindet: Als diszipliniert beschreiben ihn politische Weggefährten aus Hamburg, wo er mit 18 bei den Jungsozialisten andockte. Schon als Juso galt er als beherrschter Stratege, der von Anfang an wusste, wohin es gehen soll – darüber konnte seine wilde Lockenmähne nicht hinwegtäuschen. Wer den Erzählungen der früheren Genossen lauscht, hört Bewunderung heraus. Nicht alle in der SPD teilen sie: Als kühl und unnahbar haben ihn andere empfunden oder tun es noch immer. Sie erinnern sich an einen, der 2004 Gerhard Schröders Hartz-IV-Reform durchpeitschte – in einem roboterartigen Sprech, der ihn zum "Scholzomat" machte. Obwohl er diese Art zu kommunizieren mittlerweile abgelegt hat, bleibt sie in keinem Porträt unerwähnt.
Olaf Scholz ist lernfähig und hat sich von der Kanzlerin viel abgeschaut: sich zurückzunehmen, abzuwarten, andere erst mal machen lassen – so reagierte er nach der Wahl, als sich FDP und Grüne zunächst alleine trafen, um ihr Trauma von den geplatzten Koalitionsverhandlungen 2017 zu verarbeiten.
Auch im Umgang mit Journalisten setzt er Merkels Linie fort: In unliebsamen Situationen verlor sie sich gerne in Detailwissen, referierte, bis ihr niemand mehr folgen konnte – genauso im Bundestag, wenn sie von der Opposition als Regierungschefin befragt wurde. Scholz pariert kritische Fragen, wie beim Thema Corona, indem er sich freundlich bedankt und bei der Antwort abschweift. Oder sie gar nicht erst beantwortet, wenn es etwa um den Cum-Ex-Skandal (Steuerbetrug, Anm.) geht, der ihm aus seiner Zeit als Erster Hamburger Bürgermeister nachhängt.
Schweigen war genauso Angela Merkels Disziplin, in ihren letzten Amtsjahren wirkte es dröhnend wie nie: Was war 2018 los mit "Crazy Horst", wie Innenminister Horst Seehofer in der eigenen Partei genannt wird? Warum ließ sie ihre Wunschnachfolgerin an der CDU-Spitze, Annegret Kramp-Karrenbauer, hängen? Selten äußerte sie sich zu innenpolitischen Angelegenheiten oder griff erst ein, wenn Feuer am Dach war. So wie 2019, da drang die Wahl von FDP-Mann Thomas Kemmerich zum thüringischen Ministerpräsidenten mit Stimmen der AfD bis nach Südafrika durch. Die dort dienstlich weilende Kanzlerin ordnete an, das Ergebnis "rückgängig" zu machen.
Der Politikwissenschaftler Thorsten Faas (FU Berlin) glaubt, dass Scholz sich aus tagespolitischem Klein-Klein erstmal raushält – "auch im Interesse des Zusammenhalts dieser Koalition".
Beim Corona könnte dies schwierig werden, doch hier will er sich von seiner Vorgängerin abgrenzen. Merkel hielt sich bei Ausbruch der Epidemie zwar lange zurück, bis sie dann doch zur Rolle der Krisenmanagerin fand. Eindringlich appellierte sie an die Bevölkerung, bei Pressekonferenzen rechnete sie – ganz Wissenschaftlerin – Inzidenzwerte und Ansteckungsraten vor.
Was er anders macht
Olaf Scholz kündigte für die neue Regierung einen Krisenstab und ein zusätzliches Expertengremium im Kanzleramt an – die Entscheidungen könnten also andere treffen bzw. man sich auf sie berufen. Wie er die Bund-Länder-Runden gestalten will, ist noch unklar.
Überhaupt ist, obwohl der Hanseat seit Jahrzehnten in der Politik ist, wenig Persönliches über ihn bekannt. Dies zu verbergen, gelang auch Angela Merkel – selbst nach 16 Jahren als Kanzlerin im Rampenlicht lässt sie Viele bis heute ratlos wie staunend zurück, zuletzt mit ihrer Art von Machtübergabe.
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