Republika Srpska: Das "Klein-Russland" mitten am Balkan
Es ist, als würde man eine Staatsgrenze passieren – so kommt es einem zumindest vor, wenn bei einem Staatsbesuch der Streifenwagen der Föderation zur Seite fährt und stehen bleibt, und die Polizei der Republika Srpska (RS) die Führung des Konvois übernimmt. Doch auch ohne Polizeischutz merkt man sehr schnell, dass ab dem Brückenende etwas anders ist: Das Blau-Gelb Bosnien-Herzegowinas verschwindet; stattdessen begrüßen einen Fahnen in den panslawischen Farben Rot, Blau, Weiß, die auch in den Flaggen von Serbien und Russland zu finden sind.
Die Straßenschilder sind plötzlich nicht mehr in lateinischen Buchstaben, sondern kyrillischer Schrift angeschrieben, und vereinzelt sieht man ein schwarzes Z, das russische Kriegssymbol, auf Hauswände gesprüht: Willkommen in der Republika Srpska!
Das politische System Bosnien-Herzegowinas gilt als eines der nationalistischsten der Welt: Das Land ist geteilt in drei "konstitutive" Völker, zwei Teilrepubliken – die Föderation Bosnien-Herzegowina und die Republika Srpska – mit eigenen Präsidenten, einem dreiköpfigen Staatspräsidium – ein Vertreter für jedes Volk – und 162 Ministern im ganzen Land. Wer für ein politisches Amt kandidieren will, muss sich einer Ethnie klar zuordnen. Festgelegt hat das das Dayton-Abkommen, das 1995 zwar den blutigen Krieg beendete, damit aber auch ein System schuf, in dem ethnonationale Kräfte beinahe jeden Lebensbereich dominieren.
Eine dieser ethnonationalen Kräfte ist der "Serbenführer" Milorad Dodik, Präsident der serbischen Teilrepublik, und fest verankert im politischen System. In Banja Luka, dem Regierungssitz der Republika Srpska, trifft man ihn an fast jeder Straßenecke: Überdimensional lächelt er von den Plakaten, die noch vom letzten Urnengang Anfang Oktober übrig geblieben sind. Bei der Wahl selbst hat Dodik, der offen mit Serbiens ultranationalistischem Präsidenten Alexander Vučić und Russlands Kremlchef Wladimir Putin sympathisiert und gebetsmühlenartig mit einer Abspaltung der Republika Srpska droht, dann aber nicht so gut abgeschnitten, wie von den Staatsmedien prophezeit: Das Rennen um das Amt des Präsidenten der serbischen Teilrepublik gegen die oppositionelle Jelena Trivić fiel deutlich knapper aus als erwartet. Später warfen beide Seiten einander Wahlfälschung vor.
Vorbild Russland
"Dodik verliert den Rückhalt bei den Menschen", meint die Journalistin Tanja Topić. Vielen sei sein Kurs zu repressiv geworden. Topić ist in Banja Luka geboren, schreibt für das unabhängige Blatt Vreme aus Belgrad und steht auf der schwarzen Liste Dodiks: "Ich wurde öffentlich als Spionin bezeichnet, als ausländische Agentin. Auch meine Familie wurde angegriffen und sozial isoliert", erzählt die Bosnierin dem KURIER. Verängstigen lasse sie sich aber nicht.
Einschüchterung ist Dodiks Antwort auf kritische Stimmen: Unabhängige Medien gibt es in der Republika Srpska so gut wie keine mehr. Ihnen wurde die Finanzierung entzogen oder der Zugang zur Öffentlichkeit erschwert. "Dodik will eine Medienlandschaft wie in Russland schaffen", so Topić.
Seine Macht baue er, wie alle ethnonationalen Parteien, auf Korruption: Der öffentliche Sektor in Bosnien-Herzegowina ist enorm und penibel unter den Parteien aufgeteilt. Für einen fixen Job im Staatsapparat bezahlt man mit seiner Stimme am Wahlzettel und mit Geld. Dem Korruptionsindex von Transparency International zufolge sind in Europa nur die Ukraine und Russland korrupter.
Ein "Altersheim"
Kritischen Stimmen, die sich weder unterdrücken noch öffentlich diffamieren lassen wollen, bleibt nur eine Möglichkeit: auswandern. Abwanderung ist das größte Problem Bosnien–Herzegowinas. Schätzungen zufolge kehren jedes Jahr 150.000 Bosnier ihrem Heimatland den Rücken – so viele, wie in Banja Luka wohnen.
Srđan Puhalo, groß, Brille, Locken, Soziologe und bekannter Blogger in Bosnien-Herzegowina, nimmt sich kein Blatt vor den Mund: Das Land verwandle sich in ein "Altersheim", sagt er: "Der Großteil der Bevölkerung sieht keinen Grund, sich für etwas einzusetzen. Es gibt keine gemeinsame Identität."
Warum er selbst noch da ist? "Weil ich kein Englisch kann."
Hoffnungsschimmer?
Die Aussicht auf den EU-Kandidatenstatus, der Bosnien-Herzegowina im Dezember verliehen werden soll, stimmt ihn wenig optimistisch: "Die Politiker wollen nichts am Status quo ändern, auch wenn sie Gegenteiliges versprechen. Warum sollten sie auch? Die EU schickt trotzdem Geld ins Land und finanziert sie indirekt."
Bosnien-Herzegowina besteht aus zwei Teilrepubliken (Föderation Bosnien und Herzegowina, Republika Srpska). Das System ist extrem föderalistisch: Die Teilrepubliken haben weitreichende politische Rechte. Festgelegt hat das das Abkommen von Dayton, mit dem der Bosnienkrieg (1992-95) beendet wurde. Das Ziel: Gleichstellung der drei "konstitutiven Völker" – Serben, Kroaten, Bosniaken. Nach den ethnischen Säuberungen während des Krieges ist die Bevölkerung in den Teilrepubliken heute viel heterogener als vor dem Krieg.
Über die Einhaltung des Dayton-Abkommens wacht der Hohe Repräsentant der internationalen Gemeinschaft. Aktuell besetzt das Amt CSU-Politiker Christian Schmidt, davor waren es auch die Österreicher Wolfgang Petritsch und Valentin Inzko. Größtes Problem: die Abwanderung junger Bosnier in die EU. In den letzten zehn Jahren hat rund eine Million Menschen das Land verlassen. Bosnien-Herzegowina hat 2016 einen EU-Beitrittsantrag gestellt.
Wie schafft man dann Veränderung und Zusammenhalt? Zuerst einmal brauche es ein Umdenken in der Bevölkerung: "Viele erwarten, dass die Probleme von außen gelöst werden – so wie das die internationale Gemeinschaft nach dem Bosnienkrieg gemacht hat", so Topić. Vielleicht schreitet auch deswegen nicht einmal die Hälfte aller Wahlberechtigten zur Urne. Puhalo kritisiert auch die internationale Gemeinschaft, die etwa das Wahlergebnis vom Oktober trotz offensichtlicher Manipulation akzeptiert habe.
Der große Hoffnungsschimmer ist der Blick ins Ausland: "Sobald man aus dem Land draußen ist, ist es egal, ob man Bosniake, Kroate oder Serbe ist", erzählt ein junger Österreicher, dessen Eltern aus Mrkonjic Grad, einer Kleinstadt der Republika Srpska, stammen. Da findet man dann plötzlich das, was man im Land selbst vergeblich sucht: die bosnische Identität.
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