Rebellion gegen Räumungen

Rebellion gegen Räumungen
Bürgermeister und Bürgerinitiativen kämpfen gegen die Delogierung Zehntausender.

Ab sofort sind Vigos Polizisten eine ihrer wohl unangenehmsten Aufgaben los. Der Gemeinderat der Hafenstadt hat beschlossen, dass die Beamten keine Wohnungsräumungen mehr durchführen müssen. Banken, die eine Delogierung eines säumigen Kreditnehmers beantragen, werden abgewiesen. Sollten sie trotzdem versuchen, die Bewohner – etwa mit Hilfe einer privaten Sicherheitsfirma – hinauszuwerfen, legen sie sich mit der Stadtverwaltung direkt an. Und die droht, bei jeder Bank, die weiterhin Wohnungen räumen lässt, sämtliche Konten der Stadtverwaltung und anderer Behörden aufzulösen.
Dass man sich damit frontal gegen das Gesetz stellt, kümmert die Lokalpolitiker wenig. Die Zentralregierung in Madrid, flucht etwa ein Stadtrat gegenüber der Zeitung El Pais, „geht doch ohnehin nur vor den Banken in die Knie“. Man müsse endlich „den Problemen ins Auge sehen – denn da gibt es wirklich existenzielle soziale Dramen.“

Selbstmorde

Und die gibt es nicht nur in V­igo. Zwangsräumungen von Häusern und Wohnungen sind die schwerwiegendste Folge der Wirtschaftskrise im ganzen Land. Über mehr als 400.000 Spanier wurde eine Exekution verhängt, etwa die Hälfte davon ist bereits durchgeführt worden.
Auch wenn viele der Immobilien, die jetzt wieder an die Banken zurückfallen, Zweitwohnsitze oder Ferienwohnungen waren, bei Zehntausenden geht es tatsächlich um das Dach über dem Kopf. Täglich machen dramatische Fälle Schlagzeilen in den Tageszeitungen: Menschen, die sich aus Angst vor dem Rausschmiss aus dem Fenster gestürzt haben, Alleinerzieherinnen mit schwerstbehinderten Kindern, die auf der Straße stehen, Familien, die wegen weniger Tausend Euro Zahlungsrückstand ihre Wohnung los sind.

Die Schulden allerdings verschwinden nicht so schnell wie das auf Kredit gekaufte Eigenheim. Seit Spaniens Immobilienblase geplatzt ist, sind die Preise um mehr als die Hälfte abgestürzt. Die Banken , die ja ohnehin auf Bergen fauler Kredite sitzen, haben in Spanien das Recht, Wohnungen zahlungsunfähiger
Kreditnehmer zu jedem Preis zu verkaufen. Den Rest ihrer Schulden haben die delogierten Bewohner weiter am Hals.

Spanien ist noch mehr als Österreich ein Land der Häuslbauer. Der Wunsch nach einem Eigenheim und einem Zweitwohnsitz gleich dazu wurde von den Regierungen über Jahre großzügig gefördert, und die Banken trugen möglichen Käufern die Kredite förmlich nach, auch wenn die über keinerlei Sicherheiten verfügten.

So sind die ärmsten Opfer der Räumungswelle Zuwanderer aus Lateinamerika oder Osteuropa, die jetzt, da sie ihre Jobs verloren haben, über keine Sicherheiten oder ein soziales Netz verfügen. Die Schulden bei den Banken verhindern dazu eine Rückkehr in die alte Heimat.

Rebellion gegen Räumungen
So wie in Vigo haben sich inzwischen im ganzen Land Bürgermeister gegen die Banken gestellt. „Kein Polizist in meiner Stadt steht für Räumungen zur Verfügung“, gibt sich ein Bürgermeister aus Andalusien kämpferisch: „Wenn das ein Richter nicht akzeptiert, übernehme ich die Verantwortung.“
Vor Gericht kämpfen auch die Juristen der Bürgerbewegung 15.Mai. Sie versuchen Räumungen zumindest zu verzögern, streiten um den Wert der Wohnungen, die die Banken nun viel zu billig abstoßen. „So zahlen die Bewohner gleich noch einmal drauf“, erklärt die Aktivistin Cristina Asensi (Foto) im KURIER-Gespräch, „zuerst waren die Wohnungen verrückt teuer, jetzt werden sie geräumt und an zwielichtige Zwischenhändler verramscht.“

Dass die Regierung in einem Notprogramm die Räumungen in sozialen Härtefällen für zwei Jahre gestoppt hat, hält Asensi für „politische Kosmetik“. Das Land stehe vor einem grundsätzlichen Problem: „Es gibt eineinhalb Millionen leere Wohnungen und Millionen von Menschen ohne eigene Bleibe. Spanien braucht endlich sozialen Wohnbau.“

Fakten

Rezession 2011 schrumpfte die Wirtschaft um 1,6 Prozent. Für heuer werden minus 1,5 Prozent erwartet. 2013 sollen es minus 1,3 Prozent werden.Sparpakete Die Regierung hob Steuern massiv an. 60 Milliarden Euro sollen dadurch eingespart werden.
Auswirkungen 25 Prozent der Spanier sind ohne Arbeit. Rund 200.000 Spanier wurden aus ihren Wohnungen delogiert. 400.000 Delogierungen waren angedroht.

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