Politiker-Popularität: Die Auf- und Absteiger in der Krise
Politik ist immer ein Balanceakt. Krisenpolitik wohl noch mehr, weil die Effekte so schnell sichtbar werden. Und doch musste man als Regierungschef schon sehr viel falsch machen, um in den Umfragen abzustürzen.
Unzählige Male wurde dieser Effekt untersucht und unter dem Titel „Rally 'round the flag“ in die Lehrbücher eingeordnet. In der Krise, so die Annahme, schart sich das Volk hinter dem Leader (hinter der Flagge). Weil die Menschen Sicherheit suchen und aufgrund mangelnder Informationen der – wohl am besten informierten – Regierung Vertrauen schenken.
Hinuntergestolpert
Jair Bolsonaro hat es trotzdem geschafft. Der brasilianische Präsident hatte zu Beginn der Corona-Krise das Virus noch heruntergespielt, Massenveranstaltungen abgehalten und sogar noch beworben, von Maßnahmen keine Spur. Von 59 Prozent Zustimmung Mitte Februar sind heute noch etwas mehr als 40 übrig.
Hinaufgestolpert
Doch viele andere schafften es, quasi als Nebenprodukt der Krisenpolitik die eigenen Umfragewerte aufzupolieren. Sogar Emmanuel Macron, der nicht zuletzt aufgrund der „Gelbwesten“ bei 28 Prozent grundelte, war Mitte März immerhin bei 35 Prozent angelangt.
Und sogar der in der Corona-Krise schwerst erratische US-Präsident Donald Trump schaffte es Ende März von den gewohnten 41 Prozent auf 48.
Kriegsrhetorik nicht nachhaltig
Doch jetzt, da sich die Lage in vielen Ländern wieder etwas beruhigt hat, gehen die Linien weit auseinander. Heinz Gärtner, Politikwissenschaftler an der Uni Wien führt das zum Teil auf die Rhetorik der Protagonisten zurück.
Trump und Macron etwa hätten eine starke Kriegsrhetorik verwendet und damit anfangs einen starken Mobilisierungseffekt erzielen können. Diese „Hau-Ruck-Rhetorik“ sei aber nicht nachhaltig.
Längerfristig profitieren könnten hingegen Regierungschefs wie Angela Merkel in Deutschland, Moon Jae-in in Südkorea oder Jacinda Ardern in Neuseeland. Aber sogar auch Giuseppe Conte in Italien, dessen Land sowohl gesundheitlich, aber auch wirtschaftlich am stärksten getroffen wurde.
Was sie vereint ist, dass sie starke Maßnahmen ergriffen und diese auch erklärt haben, sagt Gärtner im KURIER-Gespräch. Er teilt die Regierungschefs in drei Gruppen: Jene, die Kriegsrhetorik anwandten, um auf schnelle Mobilisierung zu zählen, jene, die das Virus herunterspielten, etwa aus Überzeugung oder, um die Wirtschaft nicht zu gefährden und jene, die schnell nachhaltige Politik wählten.
„Auch Kurz und Anschober“ würde Gärtner der letzten Kategorie zuordnen. In Österreich kratzte die Regierungspartei ÖVP vorübergehend an der absoluten Mehrheit, dem Kanzler sprachen bis zu 55 Prozent das Vertrauen aus. Knapp 80 Prozent sollen laut Umfragen mit der Politik der Regierung zufrieden gewesen sein.
Rhetorik und Auftreten entscheidend
Reinhard Heinisch, Politikwissenschaftler an der Uni Salzburg, erklärt, dass es meist nicht am "Was" liegt, sondern am "Wie". Wird die Kommunikation stabil gehalten und die Position nicht geändert, schafft das Vertrauen und Zuversicht.
Merkel oder der kanadische Regierungschef Justin Trudeau hätten das geschafft, Trump etwa nicht. Dass der US-Präsident aber nicht mehr absteigen wird, liege an einer Besonderheit seiner Person: Trumps Umfragewerte rangieren in einem engen Bereich zwischen 41 und 46 Prozent“, sagt Heinisch. „Er kann gewissermaßen tun, was er will, er wird die Basis nicht verlieren, aber auf der anderen Seite auch nicht viele andere mobilisieren.“
Noch nicht vorbei
Ein anderer Spezialfall ist Boris Johnson. In den ersten Wochen schnellten die Zustimmungswerte für den britischen Premier immens in die Höhe. Während sich andere vor dem Virus fürchteten, machte er einen coolen Eindruck – Ende März standen 66 Prozent der Briten hinter Johnson.
Doch langsam wurde klar, dass sein Plan, das Virus zu ignorieren und auf Herdenimmunität zu hoffen, nicht aufgehen werde. Hinzu kam die eigene Infizierung inklusive Krankenhausaufenthalt. Die Zustimmung sank.
Doch es sind immer noch rund 56 Prozent, die hinter Johnsons Politik stehen. Wohl auch deshalb, weil Großbritannien nach wie vor mitten in der Krise steckt. „Das Bedrohungsempfinden ist noch groß“, sagt Heinisch, „die Menschen suchen Schutz und Führung“.
Außerdem ist die Opposition - ähnlich wie die schwer mit sich selbst beschäftigte österreichische Opposition - mit neuem, wenig bekannten Labour-Leader noch blass. Doch nach und nach wird auch in der Downing Street der "Rally 'round the flag"-Effekt nachlassen.
Denn - das wissen die Lehrbücher auch: Der Effekt ist meist von kurzer Dauer. Danach kehrt meist wieder Normalität in die Umfragewerte ein. Natürlich gebe es die Möglichkeit, die positiven Effekte in die Zeit nach der Krise mitzunehmen. Aber während der erste Anstieg der Werte in der Krise quasi von alleine passiere, sei es eine "Kunst", sie danach oben zu halten - und von vielen äußeren Faktoren abhängig.
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