Wie Italiens "Kriegspremier" die Herzen der Landsleute erobert
Es ist schon spät in der Nacht, als Premier Conte in einem eindringlichen Appell die bereits von einer strikten Quarantäne belasteten Italiener zu weiteren Opfern aufruft. Italien sei mit seiner „größten Herausforderung nach dem Zweiten Weltkrieg“ konfrontiert. Das Land erlebe seine „dunkelste Stunde“, sagt der Premier und zitiert damit Winston Churchill.
Angesichts immer neuer Rekordwerte bei den Toten und Infizierten geht das Land einen weiteren, extremen Schritt: Die gesamte nicht-lebenswichtige Produktion wird geschlossen.
"Die Welt schaut auf uns"
Conte ist sich im Klaren, dass er damit ganz Italien zum befürchteten Shutdown zwingt, niemand kritisiert ihn jedoch dafür. Mit seinem ruhigen und selbstsicheren Auftreten flößt der parteilose Premier den Italienern Vertrauen ein, er spricht ihnen Mut zu, lobt sie für die rigorose Einhaltung der Ausgangssperre und verspricht ihnen, dass niemand im Stich gelassen werde. „Italien, das können wir laut sagen, ist eine große Nation, eine große Gemeinschaft, geeint und verantwortungsvoll. In diesem Moment blickt die ganze Welt auf uns“, skandiert der 55-jährige Premier.
Bis vor Juni 2018 war Giuseppe Conte für die Öffentlichkeit in Italien ein Unbekannter. Der Professor für Privatrecht tauchte damals als Kompromisskandidat für den Premierposten einer Regierung aus Lega und Fünf Sternen auf. Eine Zeit lang galt Conte als machtloser Vermittler zwischen den beiden streitsüchtigen Koalitionspartnern. Inzwischen hat sich vieles in Italien geändert. Der Ministerpräsident aus der süditalienischen Region Apulien ist in den letzten Wochen staatsmännisch gewachsen, hat an politischer Statur sowie auch an Popularität stark gewonnen.
Mit seiner ausgeglichenen und eleganten Art hat er die individualistischen und widerspenstigen Italiener zu Selbstdisziplin bewogen. Er fordert das Einhalten schwerer Einschränkungen im Alltag, die für die meisten Italiener noch vor wenigen Wochen unvorstellbar gewesen wären. Vorerst stehen 60 Millionen Menschen gleichsam unter Hausarrest. Mit seinem Aufruf zum Zusammenhalt der Nation hat er den Italienern klar gemacht, dass egoistisches Verhalten nicht nur fehl am Platz, sondern individuell und kollektiv gefährlich ist. Nicht das „Ich“, sondern das „Wir“ zählt in diesen dramatischen Tagen.
"Wiederaufbau"
Der politisch progressive und europafreundliche Conte gilt auch als idealer Premier, um die EU-Kommission zu überzeugen, auf ihre strenge Sparpolitik zu verzichten und Italien mit einer Auflockerung der Austerität zum Neustart zu verhelfen. Seine guten Beziehungen zur EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und EU-Wirtschaftskommissar Paolo Gentiloni können Italien für die Phase des „Wiederaufbaus“ nach der Coronavirus-Tragödie durchaus zugute kommen.
Höhenflug in Beliebtheit
Inzwischen wächst Contes Beliebtheit immer mehr. Schon bevor die Coronavirus-Krise in Italien in der letzten Woche ihre volle Wucht entfaltete, lag der Ministerpräsident mit 52 Prozent Zustimmungswerten deutlich vor allen anderen Politikern des Landes. Nach Ausbruch der Krise ist Contes Popularität laut einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts „Demos“ auf ein Rekordhoch von 71 Prozent gestiegen.
Salvini verliert
Ganz zum Ärger seines Rivalen Matteo Salvini: Die Popularität des polternden Lega-Chefs ist zuletzt um zwei Prozentpunkte auf 44 Prozent gesunken. In Zeiten des nationalen Notstands ertönen die rebellischen Parolen des Rechtspopulisten als sinnlos provokativ und fehl am Platz. Zusammenhalt lautet jetzt die Devise Italiens, das sich geschlossen hinter Conte stellt, ganz in der Hoffnung, dass der Coronavirus-Tsunami bald vorbeizieht und das Land zu seiner Normalität zurückkehren lässt.
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