Österreich und die Türkei - Fast schon wieder Freunde
Wiens Bürgermeister Michael Ludwig, Bundeskanzler Karl Nehammer, Parlamentspräsident Wolfgang Sobotka – so viele Politiker aus Österreich hat der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan noch nie binnen weniger Wochen getroffen. Damit ist klar: Die jahrelange Eiszeit, in denen nur Unfreundlichkeiten zwischen Wien und Ankara ausgetauscht wurden, scheint vorbei.
Gezeigt hat sich das bereits an den Grabungsarbeiten in Ephesos: Dort dürfen österreichische Archäologen nach zweijähriger Zwangspause nun wieder arbeiten und forschen. Und auch bei Österreichs NATO-Programmen sind die Tore endlich wieder offen: Seit 2016 hat das NATO-Mitglied Türkei das kleine Österreich blockiert – eine Retourkutsche, weil die Regierung in Wien lautstark ein Ende der EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei gefordert hatte.
Umso stiller geht nun die Wieder-Annäherung vor sich. Eifrig gefeiert wird das neue Tauwetter nicht – zu groß ist noch immer die Skepsis vieler Österreicher und Türken an der Politik der jeweils anderen Seite.
Was hat den Wandel bewirkt? Und was hat Österreich, was die Türkei davon? Und welche Rolle spielt dabei der Wiener Bürgermeister?
Ukraine-Krieg bringt Wien und Ankara näher zusammen
„Wer blockiert, wird auch blockiert. So einfach ist das.“ Das waren die Worte des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan vor fünf Jahren. So simpel, so klar. Seit 2016 hat sich die Türkei gegen die österreichische Teilnahme an den NATO-Partnerschaftsprogrammen gestemmt, um die Regierung in Wien zu treffen.
Doch plötzlich ist alles anders. Tauwetter ist angesagt nach der frostigen Stimmungslage der vergangenen Jahre. Dass sich die Beziehungen zwischen Wien und Ankara wieder aufhellen, hat sich bereits im April abgezeichnet. Da gab die Türkei die NATO-Blockade gegenüber Österreich auf.
Viel Wind wurde über diesen beachtlichen Schritt nicht gemacht – ein Signal dafür, dass hinter den Kulissen möglichst störungsfrei weiter daran gearbeitet werden soll, die Beziehungen zu verbessern. Auch die 2016 eingestellten archäologischen Grabungen in Ephesos sind jetzt wieder erlaubt.
Und die Tauwetter-Politik geht weiter. Zuletzt reiste der Wiener Bürgermeister zum türkischen Präsidenten. Bundeskanzler Karl Nehammer wiederum wird Erdo-ğan am Rande des NATO-Gipfels Ende Juni in Madrid treffen. Und Parlamentspräsident Wolfgang Sobotka plant am 27. Juni eine Reise an den Bosporus. Auch für Sobotka steht ein Gespräch mit dem türkischen Präsidenten auf dem Programm.
Woher rührt dieser Stimmungswandel?
Zum einem brachte der Krieg in der Ukraine viel in Bewegung. „Die Türkei hat wieder an Bedeutung gewonnen, indem sich Erdoğan in eine Vermittlerrolle hineingedrängt hat“, sagt der Politologe und Türkei-Experte Thomas Schmidinger. „Immerhin ist es der Türkei als NATO-Land gelungen, mit Putin im Gespräch zu bleiben.“ Und Nehammer setzt auf Erdoğan als einen erfolgreichen Vermittler – was der türkische Präsident zu schätzen weiß.
Zudem hofft der ÖVP-Kanzler weiter auf die Rolle der Türkei in der Flüchtlingsfrage. Über vier Millionen Syrer hat das Land aufgenommen. Noch mehr Flüchtlinge könnten kommen, wenn wegen der Getreideblockade im Ukraine-Krieg Hungerkrisen folgen. Dann solle „die Türkei weiter als ein Bollwerk gegen die Migration aus Nahost fungieren“, sagt Schmidinger.
Verändert hat sich die unfreundliche Tonlage zwischen der Türkei und Österreich vor allem aber seit dem Abgang der Regierung von Sebastian Kurz. „Die populistische Islam-Politik von Kurz ist unter Nehammer nicht mehr zu spüren. Da hat sich tatsächlich etwas geändert, und es hat sicher dazu beigetragen, dass sich das Verhältnis verbessert hat“, schildert Schmidinger.
Und nicht zuletzt Österreichs Suche nach neuen Wegen der Gasversorgung dürfte eine Rolle spielen. So soll Erdoğan angedeutet haben, dass das 2013 eingestellte Pipeline-Projekt Nabucco wiederbelebt werden könnte. Vor neun Jahren hatte man aus Österreich noch abgewunken: Zu teuer sei das Projekt, die Türkei ein zu schwieriger Partner.
Und was hat die Türkei vom Kuschelkurs mit Wien? Schmidinger: „Erdoğan ist innenpolitisch schwer angeschlagen. Die Inflation ist so hoch, die Wirtschaftskrise trifft auch seine eigene Wählerschaft massiv. Laut Umfragen würde er bei Wahlen keine Mehrheit mehr gewinnen. Da braucht Erdoğan jede Form von Legitimität. Und jedes Zeichen, das seine internationale Isolation beendet.“
Wiens Bürgermeister Michael Ludwig auf Staatsbesuch
Während der Besuch von Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) beim türkischen Präsidenten noch ansteht, hat ihn ein anderer heimischer Spitzenpolitiker bereits absolviert: In seiner Funktion als Städtebund-Präsident traf Wiens Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) in der Vorwoche seine türkische Amtkollegin. „Kurzfristig“, wie Ludwig betont, habe sich dann auch ein Treffen mit Recep Tayyip Erdoğan ergeben.
Als dieses publik wurde, hagelte es wie berichtet Kritik von vielen Seiten. Der Bund der SozialdemokratInnen aus der Türkei in Österreich unterstreicht in einem offenen Brief, dass der Besuch „Risse entstehen hat lassen und das Vertrauen der Wiener SPÖ gegenüber zerrüttet hat“. Auch, dass Ludwig bei dem Besuch keinen Bürgermeister in der Türkei traf, wird in dem Brief verurteilt.
„Institutionell gesehen hätte das mehr Sinn ergeben“, findet auch Soziologe und Politikberater Kenan Güngör. „Vor allem vor dem Gesichtspunkt, dass sozialdemokratische Bürgermeister, wie jene von Istanbul oder Ankara, von der AKP-Regierung massiv drangsaliert werden“, fügt er hinzu. Auch sei zu klären, was genau bei den Treffen besprochen würde.
Die Grünen wollen mit einer Anfrage die Hintergründe und den Zweck der Ludwig-Visite bei Erdogan aufdecken.
Den will auch so mancher Vertreter der Rathaus-SPÖ nicht so recht erkennen: „Grundsätzlich ist gegen ein Treffen mit dem türkischen Präsidenten nichts einzuwenden. Es ist immer gut, wenn man miteinander redet“, sagt ein Genosse, der anonym bleiben will. „Aber den konkreten politischen Nutzen für Wien oder die SPÖ sehe ich nicht.“
Strippenzieherin soll SPÖ-Gemeinderätin sein
Vielfach wird nun gemutmaßt, die Visite bei Erdogan habe nur einen Zweck: Stimmenfang bei Wienern mit türkischen Wurzeln. SPÖ-intern glaubt man das nicht: Der große Teil der türkischen Community in Wien würde ohnehin schon seit Jahrzehnten SPÖ wählen, heißt es.
Ludwig hätte zudem auf den Falschen gesetzt, so Güngör. „Erdoğan und die AKP sind in der Türkei am absteigenden Ast. Davon ist die Stimmungslage hier nicht unabhängig“. Politologe Thomas Schmidinger gibt zu bedenken, dass Ludwig mit dem Treffen kurdische Wähler verprellen würde.
Was manche Rote mit gewissem Unbehagen beobachten: Offenbar sind die Kontakte zwischen SPÖ und der AKP so eng, dass sich Erdoğan ohne Weiteres zum Treffen überreden ließ. Das dürfte Ludwig – so wird parteiintern erzählt – vor allem einer Frau verdanken: Aslihan Bozatemur, die 2020 mit der beachtlichen Zahl von 3.719 Vorzugsstimmen für die SPÖ in den Gemeinderat einzog.
Die Floridsdorferin mit türkischen Wurzeln war viele Jahre lang enge Mitarbeiterin Ludwigs. Ihr wird ein starkes Naheverhältnis zur AKP nachgesagt. So hatte sich im Wahlkampf 2020 die UID, die als Lobby-Gruppe der AKP in Österreich gilt, für Bozatemur massiv ins Zeug gelegt.
Seinerzeit vom KURIER darauf angesprochen hatte Bozatemur beteuert, die UID nur aus den Medien zu kennen. Aktuell war sie für kein Gespräch bereit. In ihrem Umfeld bestreitet man ein besonderes Naheverhältnis der Gemeinderätin zur AKP und Erdoğan: Sie sei in alle Richtungen vernetzt. Erst vor Kurzem habe sie sich – auf Instagram dokumentiert – auch mit Ankaras Bürgermeister Mansur Yavaş getroffen. Er gehört zur CHP, der größten Oppositionspartei.
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