Nebeneinander im Krieg: Wie Israelis und Araber zusammenleben
Hausruinen im Gazastreifen, Trümmer in Israel – wann immer neue Bilder von einem neuen Waffengang zwischen Israel und der Hamas zu sehen sind – sie sind leicht zu verwechseln mit Bildern aus vorherigen Schlachten.
Nicht so die Bilder der Gewaltszenen im Inneren Israels. Zwischen Arabern und Juden. Mit einer größeren Reichweite, sprich: Auswirkung als Hamas-Raketen.
Der Frust auf beiden Seiten führt in Ängste und in Hass. Die einen sagen wegen der Aksa-Moschee und des Vorgehens israelischer Sicherheitskräfte dort; die anderen sagen wegen der Hamas-Bedrohung.
„Nichts Neues unter der Sonne“ sagt die Bibel. Die kannte aber noch kein TikTok und Netzwerke, in denen sich Gefühle leichter und schneller Bahn brechen. Auch der Frust, auch der Hass. Die große Mehrheit, die wie so oft schweigt, hat weder TikTok noch Baseball-Schläger.
Krawalle und Schüsse
Seit Donnerstag flauen die Massenkrawalle und Prügeleien in Städten und Dörfern zwischen dort lebenden Israelis und dort lebenden Arabern eher wieder ab. Wie zu erwarten am Id-al-Fitr-Fest, zum Ende des Fastenmonats. Und wie immer, wenn die Massen weniger werden, werden Einzelne umso gefährlicher. In der zentralisraelischen Stadt Lod fielen in der Nacht zum Freitag wieder Schüsse. Auf Juden, heißt es, auch auf Araber.
Salim Dschabr, der Bürgermeister von Abu Gosch, einem arabischen Dorf vor Jerusalem und einer der Ersten, die öffentlich gegen die Gewalt in den Straßen protestierte, sagte es deutlich: „Es gibt Drahtzieher auf beiden Seiten hinter dem aufgehetzten Mob. Kriminelle Elemente, die aus Eigeninteresse die Lage aufheizen.“ Mit dabei arabische Mafia-Clans, die in den letzten Jahren immer gewaltbereiter auftreten.
„Al-Aksa oder sozialer Frust? Alles nur Vorwand. Sie tarnen sich als palästinensische Vorhut, wollen aber der Polizei nur zeigen, wer auf den Straßen das Sagen hat“, bestätigt Aymard aus Lod den Bürgermeister. Der 29-Jährige war am Mittwoch auf der Straße, um seinen randalierenden jüngeren Bruder nach Hause zu holen. „Notfalls mit Prügel.“
„Tod den Arabern“
Auf der Gegenseite stehen jüdische Hooligans, deren „Elitetruppe“ als La-Famiglia-Fanclub des Jerusalemer Fußballvereins Beitar Schlagzeilen macht. Die aber plötzlich in ganz Israel auftauchen können, wenn es gilt, Araber anzugreifen. Ihr Kampfruf: „Tod den Arabern.“
Ihr Selbstbewusstsein ist gewachsen, seitdem eine hinter ihnen stehende politische Gang mit einer nationalistisch-religiösen Fraktion ins Parlament einzog. Die verweigerte zunächst eine Huckepack-Aufnahme dieser verpönten Rassisten. Musste dann aber dem Druck nachgeben. Nicht der Straße, sondern von Premier Benjamin Netanjahu. Der wollte so in den Wahlen Mandatsverluste des Rechtsblocks vermeiden.
Auch gut für Netanjahu: Die Krawalle erschweren jetzt seinen politischen Konkurrenten die Bildung einer neuen Regierung. Es geht Netanjahu keineswegs darum, Araber zu drangsalieren. Es geht auch nicht um die Interessen seiner Likud-Partei oder um das Wohl Israels.
Es geht einzig und allein um Netanjahus persönliches Interesse: Er will mit allen Tricks einer gerichtlichen Verurteilung wegen Veruntreuung, Betrug und Korruption entgehen. Im letzten Wahlkampf umwarb er daher die arabischen Wähler. Fast 20 Prozent der Wähler sind Araber. In drei sieglosen Wahlkämpfen zuvor hetzte Netanjahu gegen sie. „Araber“ gilt seither als Schimpfwort auch unter Likud-Anhängern.
Nach dem Lynch-Versuch gegen einen Araber am Dienstag distanzierte sich dann auch der Premier vor laufenden Kameras. Sein entschlossenes „Sowas geht gar nicht“ kam aber für viele zu spät.
Hetze und Umwerbung
Es ist ein Paradox: Netanjahu hetzte als Premier beispiellos gegen die arabische Minderheit. Als Premier war er es aber auch, der mehr Gelder als seine Vorgänger für die arabischen Bürger Israels ausgab. „Fast im Geheimen“, meint ein Finanzexperte. Zunächst behielt Netanjahu zum Amtsantritt 2009 einen 5-Jahres-Plan seines linken Amtsvorgängers Ehud Barak bei. Ein Expertenausschuss kam zum Schluss: „Unser Verteilungssystem ist ungleich gegenüber den Arabern in fast allen Bereichen.“
Die mit diesem Plan einsetzende Reform zeigte schon bald positive Folgen. Weshalb auf Anraten aller Experten 2015 ein weiterer Investitionsplan mit fünf Milliarden Euro folgte. Eine Verlängerung blieb 2020 nur aus, weil Israel unter Netanjahus Übergangsregierung seit zwei Jahren ohne Haushaltsplanung auskommen muss.
Arabern „geht es gut“
Daher täuschen die Gewaltbilder von Israels Straßen letzte Woche. Israels Araber, mit all ihren Problem als Minderheit, geht es nicht nur besser als zuvor. In jährlichen und umfangreichen Umfragen bestätigt eine deutliche Mehrheit unter den Arabern, dass es ihnen „gut geht“.
Der Soziologe Sami Samucha spricht daher von einem ständigen Trend der „Israelisierung“, den die arabische Bevölkerung Israels seit der Staatsgründung 1948 durchläuft. Zur Reform gehört auch eine neue Bauplanung für die unter Wohnungsnot leidenden Orte. Nicht so umfassend und schnell wie erwünscht, aber doch. So wächst der arabische Mittelstand spürbar, auch wenn immer noch weit mehr Araber als Juden unter der Armutsgrenze leben.
Ausgerechnet die steigenden Investitionen führten aber auch zu einer steigenden Kriminalitätsrate. Jahrzehnte ging Israels Polizei zurückhaltend gegen die Kriminalität in den arabischen Ortschaften vor. Hier galt es lange als „Kollaboration“, die Polizei zu rufen: „Wir machen das unter uns selbst aus.“ Jetzt sind es die Bürgermeister, die die Polizei rufen.
Die Gewalt, die sich letzte Woche auf Israels Straßen entlud, zieht in den arabischen Orten schon lange eine blutige Spur. Von den so genannten „Ehrenmorden“ bis hin zu Mafia-Kriegen.
Schibak Ali, ein Rechtsanwalt aus Merar in Galiläa, sagt es so: „Immer noch besser in der israelischen Hölle, als im arabischen Paradies.“
Kommentare