Eine Million im Libanon auf der Flucht: Wo finden sie Schutz?
Die Fotos zeigen Menschen mit großen Koffern, die aufs Boot drängen – auf Jachten, die eigentlich für Touristenfahrten gebucht werden können. Für sehr reiche Libanesen, Ausländer und Diplomaten wurden diese zuletzt zu Rettungsbooten, die sie außerhalb des Landes in Sicherheit nach Zypern brachten. Kosten für eine Überfahrt: mindestens 2.000 US-Dollar.
Unleistbar für den Großteil der Menschen im Libanon, die vor den israelischen Raketen und der Bodenoffensive im Süden des Landes flüchten. Sie versuchen, Schutz in anderen Teilen des Libanon zu finden. Die einzige andere Möglichkeit, die ihnen bleibt: der Landweg in das vom Bürgerkrieg zerstörte Nachbarland Syrien.
Seit einem Jahr, seit die Hisbollah-Miliz nach der Terrorattacke der islamistischen Hamas anfing, auf Israel Raketen zu schießen, herrscht ein täglicher Raketenbeschuss in der Grenzregion. Nach den Pager-Explosionen und der Tötung von Hisbollah-Chef Nasrallah fliehen auch Menschen aus anderen Landesteilen – laut libanesischen Angaben sind eine Million der 5,8 Millionen im Libanon lebenden Menschen auf der Flucht.
"Die Allermeisten versuchen, im Libanon einen sicheren Ort zu finden", sagt der Österreicher Roland Schönbauer, Sprecher des UN-Flüchtlingshochkommissariats in Jordanien, zum KURIER. Geschätzt 160.000 Menschen sind in den letzten zehn Tagen nach Syrien gekommen: "Die meisten mit nicht mehr als einem Plastiksackerl mit ihren Habseligkeiten in der Hand."
70 Prozent der in Syrien Ankommenden seien selbst Syrer, einst vor dem Krieg oder dem Assad-Regime im Herkunftsland geflüchtet. "Sie werden jetzt mindestens zum zweiten Mal in die Flucht getrieben."
Gezwungen, ins Bürgerkriegsland zurückzukehren
Seit dem Bürgerkrieg 2011 hat der Libanon 1,5 Millionen Syrer aufgenommen, die größte Anzahl weltweit in Relation zur Bevölkerung. Sie waren zuletzt jedoch immer weniger willkommen, wurden von der Politik zu Sündenböcken für Kriminalität, Instabilität und die katastrophale, wirtschaftliche Lage des Landes gemacht.
Das syrische Regime hat den Grenzübertritt für syrische und libanesische Flüchtlinge in den letzten Tagen erleichtert. UNHCR und andere Hilfsorganisationen versorgen die Ankommenden in Syrien an den vier offiziellen Grenzübergängen mit dem Nötigsten, "Wasser, Lebensmittel, Windeln. Und wir versuchen, Transportmöglichkeiten für jene Syrer zu bieten, die bei Angehörigen unterkommen wollen." Die libanesischen Geflüchteten kommen in Auffanglagern von NGOs unter.
Die Caritas-Österreich-Delegierte Ilaria Borella lebt seit Jahren im Zentrum von Damaskus. Israel bombardierte in den letzten Monaten auch verstärkt Syrien, die Angriffe waren auch Borellas Nachbarschaft zu vernehmen. Das Land steckt nach Ende der großflächigen Kämpfe in einer wirtschaftlichen Krise, Energie ist knapp, Wiederaufbau findet kaum statt. Korruption und internationale Sanktionen erschweren die Lage. "Die Menschen haben keine Hoffnung, keine Zukunft, es gibt keine wirtschaftliche Perspektive", schildert sie.
Frauen und Kinder unter Rückkehrern
Borella berichtet von Menschenschlangen vor den Grenzübergängen: "Die Checkpoints befinden sich in den Bergen, viele Menschen mussten dort übernachten." Hilfsorganisationen verteilen neben humanitären Hilfsgütern auch Decken und warnen vor dem drohenden Winter.
Unter den Flüchtlingen seien auffallend viele Frauen, Kinder und ältere Menschen. Geflüchtete Syrer, die einen Einzug in die Armee, Verfolgung oder Folter vom Assad-Regime befürchten, dürften eher im Libanon bleiben. Borella betont, neben humanitärer gebe es von den Hilfsorganisationen vor Ort auch juristische Hilfe, alle Rückkehrer würden registriert. Das unterstütze das Sicherheitsgefühl bei den rückkehrenden syrischen Flüchtlingen.
"Was berührt, ist die Offenheit der syrischen Bevölkerung gegenüber den libanesischen Flüchtlingen", sagt die Caritas-Österreich-Delegierte. "Die Syrer haben schon im Krieg 2006 die Libanesen aufgenommen, daran werde ich zur Zeit immer wieder erinnert." Gleichzeitig hätten die Menschen große Angst davor, dass auch die Luftangriffe auf Syrien mehr werden – "wo sollen alle Menschen dann hin?"
Flucht nach Europa?
Eine Fluchtbewegung, die auch Europa betreffen könnte, sieht UNHCR-Sprecher Schönbauer nicht: "Weltweit machen wir die Erfahrung, dass die allermeisten Flüchtlinge in Nachbarländer fliehen, und dort bleiben oder zurückkehren möchten. Das sagen uns auch die Menschen, die jetzt nach Syrien kommen."
Entscheidend sei aber auch, dass der Rest der Welt die humanitäre Krise vor Ort nicht ignoriere und finanziell unterstütze: "Wir rechnen mit 83 Millionen US-Dollar, um der einen Million Menschen akut helfen zu können." Zusätzlich müsse auch sogenannte "early recovery" finanziert werden, also ein erster Wiederaufbau von Wohnhäusern oder Schulen, um Sicherheit, Stabilität und wirtschaftliche Perspektiven vor Ort zu ermöglichen. Die EU hat zusätzlich 10 Millionen Euro Hilfe angekündigt.
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