Kränkelnde Rechte: Der Populismus leidet an Corona
Jetzt, da Grenzen aufgehen, finden sie langsam wieder Worte: „Es wird überhaupt nicht kontrolliert. Nichts passiert, um die Gesundheit eines ankommenden Ausländers zu überprüfen“, sagte Marine Le Pen kürzlich. Endlich wieder ein Thema, bei dem eine rechtspopulistische Partei wie ihr Rassemblement National punkten kann. Das war jetzt viele Wochen schwierig.
Seit dem Coronavirus-Ausbruch wurden „Gesundheitsversorgung und Wirtschaft zu Schlüsselthemen – beides keine Stärken der extremen Rechten“, sagt der niederländische Politologe Cas Mudde zum KURIER, ausgewiesener Kenner der Rechten und Populisten in Europa und den USA.
Auch die FPÖ hat seit Wochen nur wenig zur politischen Debatte beizutragen, sie war außerdem – wie die AfD – schwer mit sich selbst beschäftigt. Die Themenführerschaft in ihrer Klientel haben Verschwörungstheoretiker übernommen.
Keine Bühne
Während die Regierenden einen Umfrage-Auftrieb erfahren durften, weil Bürger sich in Krisenzeiten gerne hinter ihren Leadern scharen, tappen Oppositionsparteien im leeren Raum. „In Zeiten der Krise halten nationale Regierungen die Bühne besetzt“, sagt Politikwissenschaftler Anton Pelinka im KURIER-Gespräch. In Europa sind das – mit Ausnahme von Polen und Ungarn – Mitte-Rechts- und Mitte-Links-Politiker.
Denn just in den Monaten vor Corona sind diverse rechtspopulistische Parteien aus der jeweiligen Regierungsarbeit ausgeschieden: FPÖ, Lega, norwegische Fortschrittspartei.
Sie alle hätten vielleicht vom Krisen-Effekt profitieren können, wären sie nicht in die Oppositionsrolle gedrängt worden: Die FPÖ durch die Folgen des Ibiza-Videos, die norwegische Fortschrittspartei von Siv Jensen nach einem Koalitionsstreit wegen einer IS-Rückkehrerin. In Italien setzte die Lega nach einem Koalitionszerwürfnis im Sommer auf Neuwahlen – die nie stattfanden, weil Giuseppe Conte einen neuen Koalitionspartner fand. Und in Dänemark hatten die Rechtspopulisten die Minderheitsregierung zumindest unterstützt, bis die Sozialdemokraten mit ihrer Anti-Migrations-Politik vor einem Jahr die Parlamentswahl gewannen.
Umfragewerte
Die FPÖ sank innerhalb eines Jahres von 20 auf 12 %, die AfD wie Norwegens Fortschrittspartei von kürzlich noch 15 auf unter 10 %. Salvinis Lega von 34 vor einem Jahr auf 24 %. Marine Le Pens RN verlor zwar nur wenige Prozentpunkte, ist aber medial in den Schatten gerückt.
Status verschieden
Die einen regieren (Fidesz/Ungarn, PiS/Polen) oder regieren mit (Patriotische Front/Bulgarien und Konservative Volkspartei/Estland), andere befinden sich in der Opposition (FPÖ, AfD, RN, Lega etc.).
Nationale Politik
Hinzu kommt, dass die Regierungen in der Coronazeit das machen, was Rechtspopulisten stets getrommelt hatten: Sie betonen das Nationale. Stichwort „Österreich zuerst“. Auch bereits in der Frage der Migration ab 2015 hat sich das gezeigt. Wenn Parteien der Mitte mit den Themen der Rechten punkten, bleibt für die nicht mehr viel Spielraum. „Die Leute wenden sich jetzt nicht an sie für Informationen“, sagt Cas Mudde.
Die Rechten haben jetzt kaum etwas zu sagen. Das liege auch daran, sagt Politikwissenschaftler Pelinka, dass der Populismus dazu neigt, auf komplexe Herausforderungen simple Antworten zu geben. „Auf die Pandemie gibt es keine simplen Antworten.“ Die Vereinfachungstendenz schwäche den Populismus jetzt. „Das kann aber rasch vorbeigehen“, sagt Pelinka. Vor allem, wenn eine zweite Corona-Welle ausbleibt und die Normalität einkehrt, wird die Rechte „ihre“ Themen, wie Migration, schnell wieder aufs Tapet bringen.
Widersprüchlich
Regierungen der Mitte mimen die starke Hand, schließen Grenzen, betonen nationale Errungenschaften und Werte. Womit sollen dann noch die Rechten punkten? Sie versuchen, sich an die Proteste gegen die Corona-Maßnahmen zu hängen. Am Wochenende wurden etliche Demos von Rechtspopulisten (mit)organisiert, etwa in Spanien von der Vox-Partei, in Deutschland von der AfD, die FPÖ fordert eine „Allianz gegen den Corona-Wahnsinn“.
Dass die Rechtspopulisten traditionell nach dem „starken Mann“ rufen, andererseits jetzt für individuelle Freiheiten demonstrieren, sei ein Widerspruch, den man sich nur aus der Oppositionsrolle heraus leisten kann, sagt Pelinka.
Renaissance der Rechten
Wie schnell die Rechte wieder zurück auf die politische Bühne findet, hänge stark davon ab, wie sich die Krise weiterentwickle, sagt der Politologe. „Wenn die Normalität einkehrt, werden wir eine Renaissance des Rechtspopulismus erleben.“ Seine Protagonisten werden dann voraussichtlich auf die Themen Migration und nationale Grenzen setzen, glauben die Experten. Pelinka erwartet vor allem die „Erfindung von Feindbildern“.
Dennoch halten Mudde und Pelinka fest: „Die Rechte“ gibt es nicht. Sie alle haben zwar eine gemeinsame Rhetorik, sind aber in der Substanz grundverschieden: „Der italienische Rechtspopulismus fordert mehr Unterstützung für Italien. Der deutsche lehnt das ab“, nennt Pelinka als Beispiel. „Sobald es um Substanz geht, ist die Gemeinsamkeit verschwunden.“
Hören Sie das Interview mit Anton Pelinka im KURIER Daily Podcast am Montag, ab 17 Uhr
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