Israel im Raketenhagel: "Wir sind immer auf dem Sprung"
Wir schlafen jetzt alle zusammen im Schutzraum. Dann müssen wir nicht jedes Mal gleichzeitig losrennen, wenn es Alarm gibt“, erklärt Maya Brandes, Mutter von vier Kindern aus Sderot. Die Stadt am Gazastreifen lebt seit über zwanzig Jahren unter Beschuss von Raketen. Ganze 14 Mal gab es Alarm in der Nacht zum Mittwoch. Maya und ihre Kinder sind „immer auf dem Sprung“.
Dann wieder können auch Monate täuschender Ruhe kommen. Schrecksekunde ist da schnell gesagt. Bombenalarme dauern aber länger als eine Sekunde, und der Schrecken ist jedes Mal ein neuer. Urplötzlich und immer unerwartet.
Die Brandes haben einen Schutzraum. Vier Wände aus Stahlbeton, möglichst fensterlos. Oder mit einer schweren Stahlplatte, die vor ein Fenster gerollt werden kann. In Israel gehören sie in jeden Neubau. In älteren Gebäuden gibt es sie nicht. Um in die veralteten Kellerbunker zu laufen, reichen die wenigen Sekunden oft nicht. Raketen fliegen schnell. Mit ihrem Einschlag ist in zehn bis 60 Sekunden zu rechnen.
Bombenalarm per SMS
Zu schnell für ältere Menschen. Genau die leben aber häufig in älteren Gebäuden. Ohne Schutzräume. Dann empfehlen die Sicherheitsregeln die Flucht ins Treppenhaus, wenn möglich in die mittleren Stockwerke. Der Alarm kann Radio- und Fernsehsendungen plötzlich unterbrechen. Litaneiartig werden dann die Namen der gefährdeten Orte verlesen. Sie werden auch per SMS verschickt.
Tahoomya Santus, eine indische Altenpflegerin, hätte es ins Treppenhaus schaffen können. Sie blieb aber am Bett der 80-jährigen Nela Gurewitsch sitzen. Beide wurden getötet.
Ohne Schutzraum fanden auch Nadine und Chalil Awad ihren Tod unter Trümmern. Vater und Tochter lebten in Darmasch, einem Vorort der Stadt Lod. Die Rakete war wohl für den nahen Flughafen gedacht. Sie schlug aber im Haus der Beduinen-Familie ein. Hassan, Bruder und Onkel, erzählt später: „Wie die meisten denke auch ich bei Alarm immer: Mir wird schon nichts passieren, aber jetzt hab ich's begriffen: Der Alarm kann Leben retten. Lauf um dein Leben, auch wenn es dir peinlich erscheint.“
In Lod leben Juden und Araber in enger Nachbarschaft. Hassan Awad weiß in seiner Trauer nicht so recht, wie er die jüngsten Vorfälle erklären soll. Ein Mob aus meist jugendlichen Arabern griff mit Beginn der Raketeneinschläge in mehreren Vierteln jüdische Nachbarn an. Plünderte Geschäfte und Synagogen. Die Polizei war überrascht und überfordert. „Plötzlich versperrten brennende Autoreifen die Straße“, berichtet eine 43-Jährige aus Lod, „ich war umringt von grölenden Vermummten. Zurück konnte ich nicht mehr, jemand hatte die Reifen zerstochen. Sie zogen mich aus dem Wagen, verbrannten ihn vor meinen Augen.“
Ähnliche Vorfälle gab es in anderen „gemischten Städten“. Rafik von der Humus-Bude steht am Platz der drei Religionen in Lod mit Kirche, der Moschee und kleiner Synagoge. Er verdreht frustriert die Augen: „Solche Ausbrüche gehen auf das Konto gewaltbereiter Banden, die schon vor den Raketen auch uns Arabern ständig das Leben schwer machten. Schuld sind danach immer alle – alle Araber.“ Rafik erinnert sich an ähnliche Vorfälle vor 20 Jahren: „Über Jahre haben wir danach unter Käuferschwund gelitten. Glaub mir, vor den Krawallen hat mich keiner um Erlaubnis gebeten.“
Beide Seiten drohen
Israels Armeesprecher wie auch der Hamas-Sprecher in Gaza gaben sich am Mittwoch noch kämpferisch. Die israelische Armee beschießt mittlerweile auch Unterkünfte und Verstecke von Hamas-Kommandeuren. „Sie können nur noch unter die Erde flüchten,“ so die Armee, „Oben finden sie keinen Schutz mehr.“ Hamas kontert: „Werden Häuser in Gaza beschossen, gerät auch Tel Aviv unter Feuer.“
Ein Journalist aus Gaza, der seit Jahrzehnten für westliche Medien arbeitet, zieht es vor, anonym zu kommentieren: „Bei mir hat die Hamas direkt nebenan ein Büro. Wenn es da einschlägt, fallen auch bei uns die Kacheln von den Wänden.“
Die ägyptischen Vermittler, seit Tagen um eine Waffenruhe bemüht, haben ihre Arbeit vorerst eingestellt. „Zurzeit stoßen wir nur auf taube Ohren.“ Jetzt beginnt das Id-el-Fitr-Fest, im Islam vergleichbar mit Heiligabend und Weihnachten. Da wird die israelische Armee nicht nachlassen: „Hamas hat Sturm gesät und wird keine Ruhe ernten.“ Dann kommt der 15. Mai, der Erinnerungstag der Palästinenser an Flucht und Vertreibung 1948. Dann heißt es in Gaza: „Wir setzen den Kampf auch heute fort.“ Die Mayas und Hassans und Rafiks werden nicht gefragt.
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