„Plötzlich loderten Autoreifen auf dem Asphalt. Dutzende Vermummte warfen Steine auf unser Auto. Ein schwerer Felsbrocken zertrümmerte die Frontscheibe. Er fiel zwischen mir und meinen Sohn auf den Beifahrersitz. Nur wenige Zentimeter und Knochen hätten brechen können.“
Tel Aviv unter Beschuss
Der Journalist Eres Cohen kehrte in der Nacht zum Dienstag spät von Dreharbeiten am Gazastreifen zurück. Und stand plötzlich vor einem Mob aufgebrachter Jugendlicher. Nicht irgendwo in den besetzten Gebieten. Die Angreifer kamen aus dem arabischen Nachbardorf. Fast auf Sichtweite zum eigenen Haus in Beer Schewa im Süden Israels. Als jemand seine Reifen mit einem Messer durchlöchern wollte, startete er durch und konnte flüchten.
Am Abend beschoss die radikalislamische Hamas die Großstadt Tel Aviv mit 130 Raketen. Die Terroristen erklärten, die Raketenangriffe seien die Antwort auf einen israelischen Luftangriff, bei dem zuvor ein Hochhaus im Gazastreifen zerstört worden war. In Tel Aviv heulten die Alarmsirenen, mindestens eine Frau starb. "Die Hamas und der Islamische Dschihad werden einen hohen Preis zahlen", sagte Premierminister Benjamin Netanjahu.
Die Journalistin Gisela Dachs musste wegen des Raketenalarms ihr Studio drei Mal verlassen: „Es hat sich ziemlich zugespitzt. Man hat gehört, wie die Raketen einschlagen. So etwas gibt es tatsächlich nicht sehr oft“, sagte die im ZiB 2-Interview.
Kabinett im Bunker
In dieser Nacht weiteten sich die „lokalen Unruhen“ der letzten Wochen in Ost-Jerusalem zu Feindseligkeiten aus, die ganz Israel überzogen. Mit Steinen, Brandsätzen, Schockgranaten, Tränengas und schweren Raketen. Vor allem aber Frust und auch Hass. Im Süden wie im Norden. Die Raketen der militanten Terrorgruppen Hamas und des Dschihad aus Gaza flogen diesmal weiter als sonst. Auch in Richtung Jerusalem. Die Nachtsitzung des israelischen Kabinetts wurde in den Bunker verlegt.
Raketen und Luftangriffe: Nahost-Konflikt eskaliert
250 Raketen
In den Morgenstunden danach wurden erneut 300 Raketen auf Israels Süden abgefeuert. In Aschkelon wurde eine 80-Jährige getötet, ihr Mann schwer verletzt. Während des Tages schlugen bis zum Nachmittag weitere 250 Raketen im Süden ein. Zwei Frauen wurden getötet.
Umgekehrt meldete die Hamas 26 Tote nach israelischen Gegenschlägen im Gazastreifen. Darunter neun Kinder, aber auch Samech Abd el-Mamluk, der Kommandeur der Raketenwerfer-Einheit der militanten „Dschihad“-Islamisten und weitere Anführer.
Israels Gegenschläge zielten in der Nacht noch auf die üblichen „Einrichtungen“ der Hamas ab. Meist gleich hinter dem Sperrzaun. Als dann Raketen auch am Tage abgefeuert wurden, nahm die israelische Armee Verstecke von Kommandeuren ins Visier. Sie liegen oft in zivilen Wohngegenden. Seit 2019 hat es solche „gezielten Tötungen“ nicht mehr gegeben.
„Wir befinden uns im Krieg“, heißt es aus der Dschihad-Bewegung. Kurz danach kam eine weitere Stellungnahme: „Wir rechnen schon in den nächsten Tagen mit dem Beginn von Vermittlungen.“ Soll heißen, man rechnet – so wie Israel – mit wenigen Kampftagen.
Gerüchte um Hamas
Auch die Hamas versucht Kampfgeist zu signalisieren. Hinter den Kulissen aber gibt es Gerüchte: Der militärische Flügel habe beim Befehl zum Raketenhagel auf Israel die politische Führung übergangen. Denn auch die Militanten in der Hamas hätten Interesse, die Lage angespannt zu halten. Das Kalkül: Militärische Kämpfe könnten die internationale Isolation der Organisation vielleicht etwas lockern. Und sie auch politisch aufwerten. Doch ein Einmarsch Israels in den Gazastreifen würde ihrer militärischen wie auch politischen Handlungsfähigkeit nur schaden. Sie darf den Bogen also auch nicht überspannen.
Erdogan verspricht Unterstützung
Aus der arabischen Welt kommen jedenfalls Solidaritätsaufrufe. Auch aus Staaten, die ihre diplomatischen Beziehungen mit Israel normalisiert haben. Aus der Türkei verspricht Präsident Recep Erdoğan seine Unterstützung. Doch gilt die Solidarität „den Palästinensern“. Nicht „der Hamas“.
Aus den USA kommt Kritik an der israelischen Politik in Ost-Jerusalem. Doch wird Israels Recht auf Selbstverteidigung mit keinem Wort angezweifelt. Israels Staatspräsident Reuven Rivlin lud alle EU-Botschafter in seine Residenz und bekräftigte: „Kein Staat der Welt würde solche Angriffe gegen seine Souveränität einfach hinnehmen.“
Auf beiden Seiten gibt es Gründe und Kräfte, die Spannungen nicht sofort abflauen zu lassen. Auf beiden Seiten gibt es aber auch Gründe und Kräfte, keinen breiten Waffengang zu wagen. Und so rechnet vorerst kaum jemand mit einer Beruhigung vor dem Wochenende. Dann aber setzt der berüchtigte „Endspurt“ an: Wer gibt den letzten Schuss ab? Wer ergattert das eindrucksvollere „Siegesbild“? Wer steht letztendlich als der Bessere da?
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