Harris bei Duell zu Pence: "Größtes Scheitern einer Regierung in Geschichte unseres Landes"
Nur weil nicht permanent beleidigt und gebrüllt wird, muss eine TV-Debatte im amerikanischen Präsidentschaftswahlkampf nicht zwangsläufig sinnvoll und hilfreich sein.
Nach sehr zivilisierten 90 Minuten Duell zwischen Mike Pence, dem nimmermüden, treuen Eckehard von Amtsinhaber Donald Trump, und Kamala Harris, der cool-charismatischen „Sozia”-Kandidatin von Herausforderer Joe Biden, in Salt Lake City muss man konstatieren: Auf Anhieb ist nicht erkennbar, wie die Vizepräsidentschafts-Debatte den auf maximal fünf Prozent veranschlagten Anteil von Amerikanern bewegt haben könnte, die sich noch nicht entschieden haben, wenn sie ab 20. Januar nächsten Jahres im Weißen Haus sehen wollen.
Dass Harris, die 55-jährige Senatorin aus Kalifornien, und der 61-jährige amtierende „Veep” ihre Animositäten völlig anders als neulich Trump/Biden nicht in einer rhetorischen Wirtshausschlägerei klärten, ist gewiss heilsam. Aber nur von flüchtiger Haltbarkeit.
In dem von der Journalistin Susan Page von USA Today inhaltlich hochwertig moderierten Sitzung ging es vorwiegend darum, dass die beiden Statthalter noch einmal mit ihren Worten ausleuchten, was ihre jeweiligen Chefs denken und zu tun gedenken.
Das führte mit Ansage dazu, dass das unter verschärften Corona-Bedingungen durchgeführte Gespräch (fast vier Meter Abstand!) vor allem aus Vorwürfen bestand, was Trump oder Biden angeblich Verwerfliches getan oder gesagt hätten. Sowie aus pflichtschuldig klingenden Zurückweisungen eben dieser Vorwürfe.
Mühsam anzusehen, das alles. Denn vor allem Pence hatte sich offensichtlich zum Ziel gesetzt, keine einzige Frage der Moderatorin zu beantworten. Als hinderlich erwies sich, dass die angerissenen Themen üppig, die Zeit aber sehr knapp bemessen war. Ein Fakten-Check in Echtzeit hätte gute Dienste geleistet, um die oft sehr luftig vorgebrachten Argumente zu wiegen. Auch ein Knopf zum Mikrofonausschalten wurde schon nach 30 Minuten vermisst. So hätten Verstöße gegen die Einhaltung des Zeitbudgets geahndet werden können. Dass Mike Pence, der frühere Talkradio-Moderator und frömmelnde Ex-Gouverneur des Bundesstaates Indiana, dies mit bräsiger Bedächtigkeit tat, macht die Stillosigkeit nicht besser.
In der Sache hatte Harris, die ihren beruflichen Hintergrund als Generalstaatsanwältin nicht verbergen wollte, den wuchtigeren Start. Sie kanzelte die Arbeit der Regierung in der Corona-Krise als „das größte Scheitern einer US-Regierung in der Geschichte unseres Landes” ab. 210.000 Tote - die höchste Zahl weltweit - ist für sie der Ausweis von schierer Inkompetenz.
Dass Donald Trump gegenüber dem Reporter Bob Woodward einräumte, schon im Februar von der tödlichen Wirkung von Corona gewusst zu haben, dies aber vor den Amerikaner verborgen hielt, sei der Sündenfall schlechthin, erklärte die Tochter jamaikanisch-indischer Eltern und konstatierte: „Sie wussten, was passiert, und sie haben es Ihnen nicht gesagt.” Allein darum hätten Trump/Pence ihr Recht auf Wiederwahl verwirkt.
Pence, seit Monaten Chef der Corona-Taskforce im Weißen Haus, konnte dem Eingangs-Plädoyer nicht viel entgegensetzen. Sein bekannter Verweis, Trump habe sehr früh alles Menschenmögliche getan, um der Pandemie schnell Herr zu werden, wird in Umfragen seit Monaten von über 60 Prozent der Amerikaner als Humbug gewertet.
Pence wie Harris hielten sich an die Maxime aller „Veeps”: Mögliche Schwächen der Nr. 1 dezent ausgleichen, ohne die Nr. 1 als schwach zu demaskieren - und bitte mit Eloquenz sparsam umgehen. Unter diesem Diktat kann Individuelles kaum gedeihen. Aber genau darauf hatten viele Beobachter gewartet. Weil Biden im Falle eines Sieges nach der ersten Amtsperiode über 82 wäre, gilt Harris als personelle Vorentscheidung der Demokraten für die Jahre 2024 und folgende. Bei Pence steht seit langem fest, dass er, falls Trump eine zweite Amtszeit bekommt, in vier Jahren in die Führungsrolle rutschen will. Er sieht sich als Gottes Werkzeug auf Erden.
Weder Harris noch Pence drängten sich durch ihre von Plexiglas-Scheiben getrennten Sitz-Auftritte als Präsidenten-im-Wartestand-auf. Wenngleich Harris energischer, leidenschaftlicher, emphatischer wirkte und laut einer CNN-Blitzumfrage den Abend für sich entschied.
Dazu ließen beide Kandidaten zu viele relevante Fragen (Klimawandel, Integrität der Wahlen, Rassen-Diskriminierung, Polizeigewalt, Zukunft des Obersten Gerichts etc.) mehr oder weniger ins Leere fallen, um ihre Bosse nicht unnötig festzulegen. Wobei Pence im Ich-antworte-wie`s-mir-gefällt-Wettbewerb klar den ersten Platz belegte. Was wieder beweist: Man kann im amerikanischen Wahlkampf fast alles sagen oder verschweigen, solange man es irgendwie betulich und nett tut.
Von Kamala Harris wird in Erinnerung bleiben, dass sie messerscharfe Seitenhiebe gegen Trump mit einem strahlenden Lächeln überbringen kann, was manchmal irritierend wirkt. Von Pence wird man sich abseits seines im linken Mundwinkel beheimateten Signatur-Feixens noch in einigen Wochen erzählen, dass Fliegen offenbar auf ihn stehen. Eine schwarze Vertreterin besagter Gattung ließ sich während der Debatte ganze zwei Minuten in seinem schlohweißen Haupthaar nieder und brachte es so in sozialen Medien zu schneller Berühmtheit.
Fazit: Wer Pence/Harris verpasst hat, hat nichts verpasst. Am Stand des Rennens Trump gegen Biden hat die Vizekandidaten-Debatte nicht wirklich etwas verändert.
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