Nach vier Wochen Omikron: Großbritannien ist am Anschlag
Ein Taxi zur Notaufnahme statt stundenlangem Warten auf einen Rettungswagen, Zusatzbetten in der Spitalskantine und Armee-Unterstützung in Londoner Krankenhäusern: Die Omikron-Welle rollt durch Großbritannien und zwingt den nationalen Gesundheitsdienst NHS zu Maßnahmen, die für Aufsehen sorgen.
Lazarette am Parkplatz
Ein Spital im nordenglischen Preston mit 700 Betten musste in Mitarbeiter-Kantine und Fitnessstudio 50 weitere Betten aufstellen. Auch ein sogenanntes „Nightingale“-Lazarett für 100 Patienten auf dem Parkplatz ist geplant.
Diverse Regionen bekommen derzeit solche nach Florence Nightingale, der Begründerin der modernen Krankenpflege, benannte provisorische Einrichtungen, um den befürchteten Anstieg bei Covid-Patienten bewältigen zu können.
Schon ohne Pandemie ist der NHS im Winter laut Experten oft schwer belastet. Wegen der derzeitigen Rekordzahlen an Corona-Infizierten schlagen nun aber immer mehr Spitäler Alarm. So haben im größten Landesteil England 17 Krankenhausstiftungen, ein Achtel aller Stiftungen, den Katastrophenfall ausgerufen. Das bedeutet, dass manche notwendige Behandlungen nicht mehr gewährleistet werden können.
Ganze 82.000 NHS-Mitarbeiter fehlten in England am 2. Jänner laut Daten vom Freitag, viele wegen Covid; darunter 4.765 in London. Landesweit wird fehlendes Spitalspersonal auf rund 110.000 Personen geschätzt, 10 Prozent aller Angestellten. Die Gewerkschaft der Krankenpfleger sagte am Freitag, die Regierung könne nach Einberufung der Armee in London „die Personalkrise nicht länger verleugnen“.
In den Spitälern der Hauptstadt helfen seit Freitag 200 Mitarbeiter des Militärs aus, darunter 40 Ärzte. Insgesamt unterstützen bereits 1.800 Heeresmitglieder den Kampf gegen Covid und das Impfprogramm.
Nach Südengland schickt die Armee jetzt 32 Rettungsfahrer. Der Rettungsdienst in Nordost-England sorgt derweil für Aufregung, weil sein Chef Telefonisten empfahl, Anrufern wegen langer Rettungswagen-Wartezeiten vorzuschlagen, sich in nicht lebensbedrohlichen Fällen „von Freunden oder Angehörigen“ oder einem Taxler, in die nächste Klinik fahren zu lassen.
3-G-Regel in Clubs
Auch der britische Premier Boris Johnson räumt mittlerweile ein, dass das Gesundheitssystem noch mehrere Wochen unter massivem Druck stehen könnte und sich in einer „Kriegslage“ befinde. Er lehnt aber weiterhin schärfere Corona-Restriktionen in England ab, auch wegen Widerstands in seiner konservativen Partei. So besteht zwar in Öffis und Läden Maskenpflicht, nicht aber in der Gastronomie. Für Clubs und Events gilt die 3-G-Regel.
Johnson sprach diese Woche von einer „guten Chance, durch die Omikron-Welle hindurchzukommen“. Prognosen der Universität Warwick für die Regierung deuten laut BBC darauf hin, dass es für striktere Maßnahmen ohnehin zu spät sei.
Ebbt "Corona-Tsunami" ab?
Experten sehen allerdings erste Anzeichen für ein mögliches Abebben des „Omikron-Tsunami“, wie die schottische Regierungschefin Nicola Sturgeon die Krise nennt. Zumindest in London, wo laut Schätzungen in der letzten Woche des Jahres jeder Zehnte Covid hatte, stabilisiert sich die Zahl der Neuinfektionen und Hospitalisierungen.
Nachdem die Zahl der Covid-Patienten in den Spitälern der Stadt 23 Tage lang gestiegen war, gab es am Donnerstag einen leichten Rückgang von 21 Fällen auf 4.053 – auch wenn landesweit vergangene Woche 15.280 Leute, 65 Prozent mehr als in der Woche davor, wegen Covid behandelt wurden.
Nach einem Rekord von mehr als 200.000 Neuinfektionen am Dienstag meldete Großbritannien am Donnerstag knapp 180.000. Schulleiter warnten am Freitag jedoch, dass viele Schulen nach dem Ende der Ferien diese Woche wegen Omikron bereits „am Abgrund“ stünden.
Mehr als einem Drittel der Bildungseinrichtungen fehlten schon am ersten Schultag 10 Prozent der Schüler, und auch viele Lehrer seien wegen einer Covid-Erkrankung oder Quarantäne ausgefallen.
Müll in den Straßen
Personalmangel wegen Omikron führt auch anderswo zu Problemen. So sind derzeit etwa 1.700 der Mitarbeiter der Supermarktkette Iceland, rund 6 Prozent der Belegschaft, in Selbstisolation. Auch bei der Müllabfuhr fehlen Leute. So berichteten Medien in Birmingham diese Woche, dass „manche Viertel mit nicht abgeholtem Müll übersät“ seien.
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