Quarantäne-Pflicht führt bereits zu Personalmangel. Aber Boris Johnson setzt in England auf Eigenverantwortung - anders als Schottland, Wales oder Nordirland.
Feiernde Mengen im Herzen Londons; Schlangen vor Clubs und Bars in Liverpool und Newcastle; Betrunkene auf Manchesters Gehsteigen. Auch so feierte England den Start ins Jahr 2022. Und das, obwohl Großbritannien, wegen der hochansteckenden Omikron-Variante, 2021 mit Corona-Neuinfektionsrekorden beendet hatte.
"Wir werden uns richtig betrinken und kräftig feiern”, sagte eine junge Frau der BBC am Silvesterabend. Dafür zeigten Medien fast ausgestorbene Straßenzüge in Edinburgh, Cardiff und Belfast.
Denn vereint gibt sich das Königreich, wo Regionalregierungen Gesundheitspolitik entscheiden, im Corona-Kampf nicht. Schottland, Wales und Nordirland haben striktere Regeln, während der für den größten Landesteil England zuständige Premier Boris Johnson, mit Hinweis auf den milderen Verlauf vieler Omikron-Infektionen, auf Impfen, Freiheit und Eigenverantwortung setzt.
So besteht in England in Öffis und Läden Maskenpflicht, nicht aber in der Gastro. Für Clubs und Events gilt die 3-G-Regel.
Damit punktet er auch bei vielen mit ihm Unzufriedenen in seiner konservativen Partei. Johnson hatte zu "behutsamem" Feiern aufgerufen, aber auch gemeint, das Land sei in Sachen Pandemie in einer "unvergleichlich besseren" Position als letztes Jahr.
Partytouristen
Während der Jahreswechsel anderswo ruhiger verlief, fielen in England laut Medien auch tausende Partylöwen aus Schottland, wo das Neujahrsfest vielen besonders wichtig ist, und Wales ein. Sie nutzten die laxeren Regeln in England, vor allem offene Clubs und Pubs fast ohne Restriktionen. "Wir fahren mit Bussen nach Newcastle Silvester feiern”, twitterte der Schotte Brian.
Jimmy reiste mit Freunden aus Wales zum Partymachen nach Torquay: "12 andere aus unserem Pub sind in Liverpool". Die Sun hatte sich im Vorfeld über den Ansturm Feierwilliger gefreut und mit einem "Braveheart"-Foto von Mel Gibson gekalauert: "Ravehearts".
Manche Experten fürchten jedoch, dass sich Neujahrs-Feiern als Super-Spreader-Events entpuppen könnten, weil Omikron leichter übertragbar ist und wegen erhöhter Nachfrage derzeit ein Engpass bei gratis Schnelltests besteht. So waren diese in den letzten Tagen oft nicht erhältlich, obwohl Johnson sie Briten vor Silvester-Feiern ans Herz gelegt hatte.
Personalmangel durch Quarantäne-Pflicht
Die hohe Infektionsrate und Quarantäne-Pflicht führt auch bereits zu Personalmangel. So mussten zum Jahresende diverse Fußballspiele in England abgesagt und Zugverbindungen gestrichen werden; auch Schulen und öffentliche Dienstleistungen wie Müllabfuhr könnten laut Experten bald betroffen sein.
England verzeichnete am Samstag 162.572 Neuinfektionen - ein Tagesrekord im größten britischen Landesteil.
Bei den Neuinfektionen gerechnet auf 100.000 Einwohner liegt Großbritannien aktuell in Europa hinter Dänemark, Zypern und Irland auf Platz vier.
Der Statistiker Prof. David Spiegelhalter von der Universität Cambridge warnte vor einer "nie dagewesenen Infektionswelle“ und meinte, tatsächliche Fallzahlen könnten bereits bei bis zu 500.000 liegen.
Neue Maßnahmen "letzter Ausweg"
Die Zahl der COVID-Patienten in Englands Spitälern stieg im Vergleich zur Vorwoche um 68 Prozent auf fast 12.400, so hoch wie zuletzt Ende Februar. Der Gesundheitssektor beklagt Personalmangel und warnt vor einer möglichen Überlastung.
Manche fragen da, ob Johnson im neuen Jahr vielleicht doch striktere Maßnahmen setzen muss. Aber sein Gesundheitsminister Sajid Javid bezeichnete das am Neujahrstag nur als "letzten Ausweg".
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