Ganz Bosnien steckt seit Ende des Bürgerkrieges 1995 in einem Warteprozess fest. Viele bezeichnen das Balkanland als einen gescheiterten Staat: Das in zwei halbautonome Teilrepubliken geteilte Land (die bosniakische und serbische) hat eines der kompliziertesten Regierungssysteme der Welt und schafft es nicht, der Bevölkerung soziale Sicherheit und Zukunftsperspektiven zu garantieren.
Und als wären die Corona-Pandemie und die hohe Abwanderungswelle – 180.000 Bosnier haben ihrer Heimat allein 2021 den Rücken gekehrt – nicht genug, sorgt Dodik mit seiner nationalistischen und separatistischen Politik immer wieder für Unruhe.
Ablenkungsmanöver?
Im Dezember stimmte das Parlament der RS für den Rückzug aus Armee, Justiz- und Steuersystem der Zentralregierung.
Steht das Land mehr denn je vor einer Spaltung?
"Nein", sagt der gebürtige bosnische Politologe Vedran Dzihic: "Die Abspaltung selbst ist nicht wahrscheinlich. Sowohl die westlichen Garanten des Dayton-Friedens wie die USA, Großbritannien und viele andere EU-Staaten als auch die Mehrheit der Bevölkerung würden das nicht zulassen." Dodik wolle mit seiner separatistischen Politik von seiner miserablen Regierungsbilanz ablenken, die von Armut in der Bevölkerung, Korruption und Bereicherung der Elite geprägt ist. Im kommenden Herbst sollen Präsidentschafts- und Parlamentswahlen stattfinden.
Dennoch fühlt sich Dodik bestärkt: Unterstützung erhält er aus Serbien und Russland – Kremlchef Putin gilt als sein wichtigster Verbündeter – sowie von Rechtspopulisten aus ganz Europa. Ungarns Premier Viktor Orbán gelobt, jeden Sanktionsversuch der EU zu blockieren. Und der französische Rechtspopulist Thierry Mariani, ein Vertrauter Marine Le Pens, kam eigens für den Feiertag nach Banja Luka.
"Kompromisse und Beschwichtigungsstrategien machen keinen Sinn und kompromittieren die EU und ihre Werte", meint Dzihic. "Es braucht scharfe Sanktionen und totale Isolation von solchen Politikern" – ähnlich wie es die USA bereits Anfang Jänner gemacht hatten.
Eine mögliche Konfliktberuhigung sieht Dzihic in einem Aufleben des EU-Erweiterungsprozesses: 2016 hat Bosnien einen Antrag gestellt, 83 Prozent der bosniakisch-kroatischen Bevölkerung stehen laut Umfragen einem EU-Beitritt immer noch positiv gegenüber, in der RS sind es nur mehr 40 Prozent.
Umkämpfter Westbalkan
"Wenn wir uns als Union auf dem Balkan nicht engagieren, sind andere geopolitische Player da. Neue Konflikte drohen", warnt Dzihic. Er selbst nennt sich einen Optimisten: "Es wäre ein Traum, wenn der Westbalkan in zehn Jahren Mitglied einer starken und werteorientierten EU wäre, in der es keine internen illiberalen Herausforderer gibt, sondern eine bürgerzentrierte und der Zukunft verpflichtete Politik."
Den Pensionisten in der Schlange vor der Raika-Filiale in Zenica interessiert das alles jedoch wenig. Es ist der erste Monat nach Weihnachten, "diesmal gibt es einen einmaligen Zuschuss von 50 Mark", freut sich der alte Mann mit Zahnlücke. Umgerechnet sind das 25 Euro – für ihn sind die mehr wert als jeder Feiertag.
Kommentare