Immer wieder stehen etwa Kroatien, Griechenland oder Ungarn in der Kritik, weil deren Sicherheitskräfte angeblich Migranten, die es illegal über die Grenze geschafft haben, ohne Asylantrag zurückbringen.
Als das Urteil am Donnerstagabend ausgesprochen wurde, war Österreichs Europaministerin Karoline Edtstadler im Zuge ihrer EU-Tour in Sachen Budget in Madrid. Die frühere Richterin ist nicht überrascht – die Menschenrechtskonvention räume den Staaten mehr Handlungsspielraum ein als ihr zugeschrieben wird, sagt sie. Das Urteil könnte nun "größeren Einfluss" auf die europäische Migrationspolitik haben – zumindest starte jetzt eine Debatte. "Momentan haben wir die Problematik, dass jeder, der den Fuß auf europäischen Boden gesetzt hatte, um Asyl ansuchen konnte."
Die Juristin will das Urteil aber nicht abschließend bewerten. Man müsse sich es sich im Detail anschauen und klären, ob es auch auf die zahlreichen Fluchtwege übers Mittelmeer angewendet werden kann. "Aber grundsätzlich scheint es unserem Ziel, der illegalen Migration und dem Schleppergeschäft ein Ende zu setzen, entgegenzukommen", erklärt sie.
Auf der Suche nach einer gemeinsamen europäischen Asyllösung dürfe man vor allem Mittelmeerländer wie Spanien, die unter einem besonders hohen Migrationsdruck stehen, nicht alleine lassen, sagte Edtstadler in Madrid. Das Verteilungssystem allerdings sieht sie als gescheitert an.
Das Urteil des Menschenrechtsgerichtshofes, das besagt, dass man zurückgewiesen werden kann, wenn man illegal die Grenze überschritten hat, habe einen schweren Mangel, so Menschenrechtsexperten. "Wenn man illegal nicht herein darf, dann müsste Europa das mit legalen Möglichkeiten kompensieren", sagt Migrationsexpertin Melita Sunjic zum KURIER. Diese seien aber verschwindend gering: Ein Antrag auf Asyl in Botschaften oder Konsulaten ist nicht möglich, es gebe zu wenig Resettlement-Programme, die EU könne sich nicht über die Verteilung von Flüchtlingen einigen, und Familienzusammenführungen beruhen oft auf der Tatsache, dass es ein Verwandter (auf illegalem Weg) nach Europa geschafft hat.
An den spanischen Exklaven in Marokko gibt es seit einigen Jahren Asylbüros. Sie befinden sich im "Niemandsland" zwischen dem marokkanischen und dem spanischen Grenzübergang. "Aber auf legalem Weg kommt man gar nicht bis zum spanischen Grenzposten vor", sagte Beletti Njame gegenüber dem Deutschlandfunk. "Die marokkanische Polizei lässt dich nicht durch." Der einzige Weg für Flüchtlinge, nach Spanien zu kommen, um dort Asyl zu beantragen, ist, über die Grenzzäune zu klettern.
Auch wenn sich Rechtsexperten darüber uneins sind: Während manche Politiker hoffen, dass das Urteil einen Präzedenzfall setzt, befürchten Menschenrechtsaktivisten selbiges. "Ich hoffe nicht!", sagt Judith Sunderland, Migrationsexpertin bei der NGO Human Rights Watch. Das Urteil, das sie als "schrecklich" bezeichnet, gehe an der Realität vorbei: Es sei bekannt, dass die marokkanische Grenzpolizei die Migranten nicht passieren lasse. Spanien überlasse einen Teil seines Grenzschutzes Marokko – und zahlt dafür.
Die Reise der Autorin wurde durch das Bundeskanzleramt finanziert.
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