Zwei Verstöße gegen die Menschenrechte: Das ist das Ergebnis der ersten offiziellen Prüfung, die der VW-Konzern nach den Regeln des deutschen Lieferkettengesetzes durchgeführt hat. Für einen Riesenkonzern mit rund 700.000 Mitarbeitern weltweit und rund 60.000 Lieferanten ist das auf dem Papier eine quasi lupenrein weiße Weste.
In mehr als 90 Ländern hätten die dutzenden, allein für diese Aufgabe abgestellten Mitarbeiter recherchiert, ließ die Zentrale in Wolfsburg stolz mitteilen. Man sei mit dem Ergebnis mehr als zufrieden, ließ auch die zuständige Menschenrechtsbeauftragte mitteilen: "Volkswagen legt offen dar, wo Verbesserungspotenziale bestehen und wie an diesen Stellen konkrete Maßnahmen umgesetzt werden."
Zu schlecht bezahlte polnische Lkw-Fahrer
So weit, so harmlos. Seit zwei Jahren gilt in Deutschland ein nationales Lieferkettengesetz. Deutsche Firmen sind damit dafür verantwortlich, dass auch bei ihren Zulieferern - wo auch immer auf dem Globus die sich befinden - Arbeits- und Menschenrechte beachtet werden, also auch etwa, dass keine Kinder beschäftigt werden. Bisher, so die Auskunft der für die Überwachung zuständigen deutschen Behörden, gab es keinerlei Strafen.
Die Firmen, die ja für die Überwachung ihrer Lieferketten selbst verantwortlich sind, hatten wie VW ordnungsgemäß Vorfälle gemeldet und versprochen, die Sache in Ordnung zu bringen. Die Behörden mussten nur einmal aktiv werden: Polnische Spediteure, die deutsche Firmen belieferten, hatten ihre Fahrer nicht ordnungsgemäß bezahlt.
Härte gegen deutsche Autokonzerne in den USA
Ein Lieferkettengesetz kann aber auch ganz andere Konsequenzen haben, wie der jüngste Fall in den USA zeigt. Die US-Regierung, die ohnehin mit China bereits einen offenen Handelskrieg austrägt, hat eine Lieferketten-Regelung in Kraft gesetzt, die sich direkt gegen mögliche Zwangsarbeit in China richtet, und zwar in der lange mehrheitlich muslimischen Provinz Xinjiang, in der die uigurische Minderheit seit Jahren unterdrückt wird.
Dort aber werden Elektronikbauteile für die Autoindustrie hergestellt, die unter anderem auch in Autos des VW-Konzerns eingebaut werden. Weil VW auch noch eine Fabrik und eine Teststrecke in Xinjiang betreibt, griffen die US-Behörden zu einer Strafaktion, die weltweit für Aufsehen sorgte - und für Entsetzen in der VW-Zentrale: Rund 15.000 Autos der hauseigenen Edelmarken wie Bentley oder Porsche, in denen die Teile verbaut waren, wurden beim Import in die USA an Dutzenden Häfen festgehalten - und das über rund zwei Monate, bis eine zumindest vorübergehende Einigung mit VW getroffen werden konnte.
Mögliche Millionenstrafen aber hängen seither wie ein Damoklesschwert über dem Konzern.
EU-Lieferkettengesetz deutlich strenger als das deutsche, aber zahmer als das US-Gesetz
Das deutsche Lieferkettengesetz hat dagegen VW bisher verschont. Dort geben sich die Behörden mit der Erklärung des Konzerns zufrieden, dass man mit den umstrittenen Produktionsstätten nichts zu tun habe. Auch das Werk und die dazugehörige Auto-Teststrecke in Xinjiang würden nicht von VW selbst betrieben, sondern von einem Gemeinschaftsunternehmen mit dem chinesischen Hersteller Saic, heißt es - anders wäre das aber auch gar nicht möglich, da sich ausländische Unternehmen nur in China niederlassen dürfen, indem sie gemeinsam mit einem chinesischen Konzern eine Tochterfirma gründen.
Doch das deutsche Gesetz wird demnächst von einer EU-Regelung abgelöst, die vor wenigen Tagen endgültig in Brüssel verabschiedet worden ist. Zwar gelten lange Übergangsfristen und Einschleifregelungen für das Gesetz, doch wenn es in rund fünf Jahren in der ganzen EU in Kraft ist - für alle Firmen mit mehr als 1.000 Mitarbeitern - ist die Verantwortung, sind aber auch die Risiken für Unternehmen weit größer.
Anders als das deutsche Lieferkettengesetz gilt die EU-Regelung für die gesamte Lieferkette - also für die Zulieferer der Zulieferer und so weiter. Ein deutscher Elektronikgroßhändler ist also in letzter Konsequenz auch für die Mine in Afrika verantwortlich, aus der die Mineralien in den verbauten Chips stammen. Das gilt nicht nur für Menschenrechtsverletzungen, sondern auch für Umwelt- und Klimaschäden, die der jeweilige Zulieferer anrichtet.
Im Vergleich zu der gezielt gegen China gerichteten US-Regelung werden die europäischen Behörden nicht mit der gleichen Härte vorgehen. Eine Firma wie VW muss also lediglich beweisen, dass sie alles getan hat, um die erwähnten Verfehlungen zu stoppen. Abhängig von einer Risikobewertung des jeweiligen Landes, aus dem geliefert wird, müssen diese Prüfungen mehr oder weniger genau durchgeführt und dokumentiert werden. Wenn der Konzern beweisen kann, dass er diese Prüfungen ordentlich durchgeführt hat, kommt er ohne Strafe davon.
Kinder- und Zwangsarbeiter aus aller Welt könnten künftig in Europa klagen
Doch das EU-Lieferkettengesetz gesteht nicht nur Firmen und Behörden eine Rolle zu, sondern auch jenen, die es schützen will: den Betroffenen aus den Herkunftsländern. Konkret kann sich in Zukunft ein Textilarbeiter aus einer Fabrik in Bangladesch, oder auch ein Zwangsarbeiter aus China an ein Gericht wenden - und zwar in jenem Land, in dem die Waren, für die seine Firma zugeliefert hat, verkauft werden.
Ein T-Shirt bei einem Textildiscounter in einem EU-Land könnte so Anlassfall für eine Klage werden. Ein Risiko, das sich nur schwierig kalkulieren lässt, denn dann muss das Unternehmen vor Gericht beweisen, dass es ausreichend kontrolliert hat. Menschenrechtsorganisationen könnten die Kläger medienwirksam vor Gericht unterstützen. Wie weit diese Klagen gehen und welche Strafen dabei herauskommen könnten - all das ist juristisches Neuland.
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