El Salvadors Horror-Gefängnisse: "Mein Bruder ist im Leichensack zurückgekommen"
In El Salvador sperrten die Behörden in nicht mal zwei Jahren mehr als 75.000 Menschen weg. Einer von ihnen war Hector. Er lebt heute nicht mehr, seine Schwester erzählte dem KURIER seine Geschichte.
Als Hector(Namen in diesem Artikel aus Schutzgründen von der Redaktion geändert, Anm.) an einem Aprilabend 2022 verhaftet wurde, sagten die Polizisten nicht viel. „Nur, dass Ermittlungen gegen ihn laufen und jemand ihn angeschwärzt habe“, erinnert Hectors Schwester Isabel sich zurück. Erst drei Monate später habe sie ihn wiedergesehen: „In einem Leichensack, um ihn zu identifizieren.“
Der KURIER erreicht die 36-jährige Salvadorianerin, sie ist Apothekerin, per Telefon. Als Isabel über das Schicksal ihres jüngeren Bruders spricht, wirkt sie lange gefasst. Irgendwann muss sie doch zu weinen beginnen.
Hector wurde 31 Jahre alt und hinterließ eine Familie mit vier Kindern. Woran er im Gefängnis starb, wissen seine Angehörigen nicht genau. Ein erstes medizinisches Gutachten besagte laut Isabel, er sei erstickt bzw. erwürgt worden. In einem späteren Bericht sei bei der Todesursache nur noch „unbekannt“ gestanden.
„Ein anderer Häftling hat uns später erzählt, dass Hector durch die Hand der Wärter gestorben sein könnte. Sie sollen ihn aus seiner Zelle geholt und nicht mehr zurückgebracht haben“, so Isabel. Man verwehre ihr jegliche Informationen darüber: „Wir haben versucht, seine Akte zu bekommen. Aber sie sagen, wegen des Ausnahmezustands dürfen sie sie uns nicht geben.“
Der Notstand war die Reaktion auf ein Massaker
Isabel meint jenes Notstandsdekret, das Nayib Bukele – damals Präsident - im März 2022, also einen Monat vor Hectors Verhaftung, als Reaktion auf ein blutiges Massaker erlassen hat. Einmal mehr hatten Bandenmitglieder wahllos um sich geschossen und 62 Menschen an einem Tag getötet. Bukele erklärte der Drogen- und Gangkriminalität, die El Salvador schon lange in Atem hielt, daraufhin endgültig den Krieg.
Die Behörden nahmen seitdem mehr als 75.000 mutmaßliche Bandenmitglieder fest und bauten das Mega-Gefängnis CECOT, das bis zu 40.000 Personen fasst. Nach der Eröffnung im Februar 2023 gingen aus der Justizanstalt schockierende Bilder - offizielle Aufnahmen - von eng zusammengepferchten, halbnackten Häftlingen um die Welt.
Laut Menschenrechtsorganisationen schränkt die Regierung mithilfe des Ausnahmezustands Grundrechte ein. Sie kritisieren unmenschliche Haftbedingungen und festgenommene Kinder - das Strafmündigkeitsalter wurde mit dem Notstand auf 12 Jahre heruntergesetzt. Und: Immer wieder soll es zu völlig willkürlichen Verhaftungen kommen.
Isabel ist sich sicher, dass auch ihr Bruder unschuldig war.
„Hector hatte kein Vorstrafenregister, keine Tätowierungen (sind für Bandenmitglieder typisch, Anm.) und war bei keiner Gruppierung dabei“, so Isabel. NGOs und anderen Angehörigen zufolge reicht es oft schon, wenn Salvadorianer oder Salvadorianerinnen – auch Frauen werden wegen mutmaßlicher Bandenzugehörigkeit festgenommen, bei den meisten Inhaftierten handelt es sich aber um Männer – falsch schauen.
"Manchmal verhaften Polizisten Menschen, die ihnen nervös und deshalb verdächtig erscheinen", sagt eine Mitarbeiterin von Human Rights Watch, die Fälle von Menschenrechtsverletzungen dokumentiert und anonym bleiben möchte. Vor allem in den ersten Monaten des Ausnahmezustands, der seither immer wieder verlängert wurde, hörte sie zudem von Polizeiquoten: "Die Beamten mussten eine bestimmte Anzahl an Menschen festnehmen, damit die Zahl der Inhaftierten stieg." Das hätten ihr unter anderem ehemalige Polizisten erzählt.
Als Hector im Gefängnis war, durfte niemand mit ihm sprechen, geschweige denn ihn besuchen.
Nach seinem Tod wollte Isabel über andere inhaftierte und mittlerweile freigelassene Männer aus ihrem Dorf mehr über die Haftbedingungen erfahren. Doch kaum einer spreche darüber:
„Es muss sehr hart sein. Wenn sie uns ansehen, wirkt es, als hätten sie einen Knoten im Hals - als würden sie reden wollen, aber könnten nicht.“
Irgendwann sei dann doch ein Mann auf sie zugekommen, der sich eine Zelle mit Hector geteilt habe – und mit etwa 80 anderen: „Er hat uns erzählt, dass sie am Boden schlafen mussten und so wenig Platz hatten, dass sie sich mit dem Sitzen und eingerollt Hinlegen abgewechselt haben.“ Die Pakete, die Hectors Familie ihm wöchentlich geschickt hat, sind laut dem Mann nur etwa einmal im Monat bei ihm angekommen.
Bukele wird im Februar wohl trotzdem wiedergewählt
Bukeles fragwürdiges Vorgehen gegen die Banden kommt bei jenem - dem eher wohlhabenderen - Teil der Bevölkerung, der nicht von den Verhaftungen betroffen ist, gut an. Für die Präsidentschaftswahl am 4. Februar sagen Umfragen ihm einen klaren Sieg voraus. Eigentlich dürfte der 42-Jährige laut Verfassung gar nicht mehr antreten. Doch mithilfe von ihm treuen Richtern umgeht er das Verbot mit einer sechsmonatigen „Auszeit“, aktuell ist eine Interimspräsidentin im Einsatz.
Die Tötungsdelikte in El Salvador haben sich in den vergangenen Jahren enorm reduziert. 154 Morde sollen es laut Justizminister Gustavo Villatoro 2023 noch gewesen sein – nach 495 im Vorjahr, wobei auch diese Zahl vergleichsweise niedrig war. 2021 und 2020 verzeichneten die Behörden noch über 1.000 Morde pro Jahr, 2019 sogar mehr als 2.000. El Salvador hat rund sechseinhalb Millionen Einwohner.
El Salvadors Führung ist ein "Vorbild" für andere Politiker
Diese Zahlen beeindrucken offenbar nicht nur die Bevölkerungsschichten, die sich jetzt sicherer fühlen. Politiker in Kolumbien, Guatemala und Honduras haben sich bereits für eine ähnliche Vorgehensweise ausgesprochen. Auch Argentiniens neuer Präsident Javier Milei sagte, er halte Bukeles Gefängnispolitik für „extrem erfolgreich“.
Isabel wird im Februar nicht wählen gehen: "Wozu denn?", fragt sie bloß. Allein in den ersten 15 Monaten des Notzustands sind laut Recherchen der Menschenrechtsorganisation Socorro Jurídico Humanitario mindestens 170 Häftlinge wie Hector gestorben, die Dunkelziffer dürfte deutlich höher liegen.
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