Nach seiner Flucht brachen in Gefängnissen im ganzen Land gewaltsame Aufstände aus, bei denen auch mehrere Menschen entführt wurden. Inmitten des Chaos rief Daniel Noboa den Ausnahmezustand aus. Das gibt ihm freie Hand, die Bewegungsfreiheit einzuschränken, Wohnungen stürmen zu lassen und die Versammlungsfreiheit für einen Zeitraum von 60 Tagen auszusetzen. Zudem ermächtigte Noboa das Militär, von nun an gegen die Drogenbanden vorzugehen. Newcomer Noboa, der seit dem 23. November für die konservative Bewegung Acción Democrática Nacional (Nationale Demokratische Aktion) im Amt ist, hatte überraschenderweise gegen die linkspopulistische Ex- Präsidenten-Partei von Rafael Correra gewonnen.
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Doch auch ein Ausrufen des Ausnahmezustandes konnte die Explosionen des Chaos nicht stoppen: Am Dienstagmorgen detonierten in fünf Regionen Autobomben und einige Fahrzeuge wurden in Brand gesetzt. Zudem wurden Polizisten von Mitgliedern krimineller Banden, den gefürchteten „Narcos“, entführt. Später stürmte eine Gruppe bewaffneter Gangmitglieder während einer Live- Sendung das Studio des Fernsehsenders TC. Der Überfall wurde knapp 20 Minuten lang live übertragen. Man hörte Schreie und Schüsse und sah, wie die Moderatoren aufgefordert wurden, sich auf den Boden zu legen. Einem steckte ein Gangmitglied sogar einen Sprengsatz in die Kleidung und zwang ihn, vor laufender Kamera an die Polizei zu appellieren, das Gelände zu verlassen. Nach zwei Stunden erst gelang es den Einsatzkräften der Spezialeinheit der Polizei, die Kontrolle über das Gelände zurückzugewinnen und 13 Täter zu verhaften. Auch die Universität von Guayaquil wurde von bewaffneten Vermummten besetzt. Fernsehbilder zeigen, wie Studenten und Dozenten über den Uni-Campus fliehen und Schutz suchen, während die Angreifer scheinbar zufällig geparkte Autos in Brand setzen.
Über „X“ (ehemals Twitter) veröffentlichte der Präsident eine Liste mit den Namen der Gruppen, die das Militärs nun ausdrücklich bekämpfen soll.
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Unter anderem fanden sich Macías Villamars „Los Choneros“ und deren verfeindete Gang „Los Lobos“ auf dem Dekret, das der Präsident veröffentlichte. Die rivalisierenden Gangs kämpfen seit der Absplitterung der Lobos von den Choneros vor knapp drei Jahren um die kriminelle Herrschaft im Land. Denn bis Dezember 2020 dominierten in Ecuador hauptsächlich die Choneros und waren stark genug, die kleineren Gangs zu unterdrücken. Wie häufig, geht es auch hier um die Kontrolle von Schmuggelrouten und Exportvorteilen von Kokain. Als jedoch der Ex-Boss der Choneros, Jorge González ermordet wurde, bildeten Mitglieder der Bande eigene Gruppen, da sie sich dem nachfolgenden Anführer, besagtem „Fito“ verweigerten. Seitdem herrscht Krieg zwischen den Gruppen- und das überall. Der Entschluss Fitos, aus dem Gefängnis zu fliehen, gilt daher als Versuch, dem Tod durch verfeindete Gruppen im Gefängnis zu entgehen.
In Ecuador, das einst eines der sichersten Ländern Südamerikas war, hat sich die Sicherheitslage in wenigen Jahren drastisch verschlechtert. Grund dafür ist die immer stärker werdene Rolle des Landes als Durchgangsland für den Kokainschmuggel. Laut Behörden stieg die Zahl der gewaltsamen Todesfälle im letzten Jahr auf über 8000, was fast einer Verdoppelung gegenüber dem Vorjahr entsprach, als die Mordrate Ecuadors bereits ein historisches Extremum erreicht hatte. Auch der Kontrahent Noboas wurde während seines Wahlkampfs im vergangenen Jahr von vermutlichen Bandenmitgliedern umgebracht.
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