Javier Milei: Der Mann, der Argentinien "zerlegt"

Unruhige Zeiten erwarten  Milei in Argentinien, seine Dekrete erzürnen Demonstranten
Javier Milei hat als Präsident ein Land im Abstieg übernommen – in Davos sucht er Verbündete und Geld für seine Ideen. Zu Hause schlägt ihm der Zorn der Bürger entgegen.

Von Lukas Bergmann

Javier Milei gab sich vor seiner Rede beim World Economic Forum in Davos bewusst bescheiden. Statt mit dem Regierungsflieger kam der neue Präsident Argentiniens in der Economy-Klasse nach Zürich, „321.000 Dollar wurden damit gespart“, postete er stolz. Die erstaunten Passagiere an Bord posteten Selfies mit dem ungewöhnlichen Gast.

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Auf Kuschelkurs in Davos

Für seinen ersten Auslandsaufenthalt als Präsident kam der 53-jährige „Anarcho-Kapitalist“ mit einer Agenda nach Davos, wo sich die Geldelite der Welt einmal mit Jahr trifft.  Für seine  radikalen Ideen, die für eine Wende im wirtschaftlich gebeutelten Land sorgen sollen, braucht er Partner und Geldgeber – beides hat das Land bitter nötig.  

Argentiniens Wirtschaft ist seit Jahren im Abstieg, im Dezember stieg die jährliche Inflationsrate auf 211,4 Prozent, zuletzt strich sogar der letzte Rettungsanker  – der Internationale Währungsfonds – wichtige Kredite. Milei Bemühungen, die Gespräche wieder zu normalisieren, fruchteten: In Davos traf er IWF-Chefin Kristalina Georgieva, der IWF bewilligte dem Land zumindest ein weiteres Darlehen in der Höhe von 4,7 Milliarden Dollar. Diese Geldspritzen sind überlebenswichtig für Argentinien, da die Zentralbank kaum mehr Geldreserven hat.

Tumulte in Argentinien

Milei gewann die Wahl vor zwei Monaten mit dem Versprechen, das Land „zu zerlegen“, symbolisch hielt er dafür eine Kettensäge in der Hand. Seine  Reformideen teilen mittlerweile die Gesellschaft: Während er in Davos um das Geld der Welt bittet, gehen in Argentinien Tausende auf die Straßen, die größte Gewerkschaft ruft zum Generalstreik  auf. Viele befürchten, dass sie durch seine geplanten Deregulierungsprojekte noch stärker in die Armut rutschen. 

Die Angst ist berechtigt: Seit Mileis Amtsantritt haben sich die Preise im Lebensmittelsektor um 29 Prozent erhöht,  der Liter Benzin kostet beinahe doppelt so viel wie noch im Herbst.  Die Investmentbank JP Morgan schätzt, dass die Inflationsrate bei derzeitiger Entwicklung im kommenden Jahr sogar 500 Prozent betragen könnte.

Den Rotstift setzte er vor allem bei Staatsbetrieben und Subventionen an. Förderungen für Lebensmittel und Benzin schaffte er zur Gänze ab. 5.000 Arbeiter in staatsnahen Betrieben ließ er kündigen. Zusätzlich will Milei so viel wie möglich privatisieren.

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Durchgebracht hat er all das nur auf Umwegen – und indem er Kongress und Gerichte umging: Er regiert  seit Amtsantritt mittels „Notstandsdekreten“, einer Ausnahmeregelung in der Verfassung, die eigentlich für eine unbürokratische Hilfe bei Naturkatastrophen gedacht ist.  Joachim Becker, Südamerika-Experte der Wirtschaftsuniversität Wien, sieht das mehr als kritisch: „Das Vorgehen von Milei ist als anti-parlamentarisch und anti-demokratisch einzustufen“, sagt er.

Milei sucht sein Heil im Ausland

Seine wohl radikalste Idee, die Abschaffung des  Pesos und die Einführung des US-Dollars, brachte er mit dieser Methoden aber nicht durch. Dafür war politische Widerstand zu groß. Ganz vom Tisch ist sein Herzensprojekt aber noch nicht:   Milei will den Dollar als Zweitwährung einführen, um ausländische Investments im Land zu vereinfachen. 

Ohnehin sucht der „Anarcho-Kapitalist“, wie er sich selbst bezeichnet, sein Heil im Ausland – und zwar nicht bei jenen Staaten, die seine Vorgänger bevorzugten. Eine Einladung zur von China und Russland dominierten BRICS-Gemeinschaft schlug er aus, er orientiert sich gen Westen, will den Handel  mit Nordamerika, der EU und Israel forcieren. Das ist  überraschend: Brasilien und China gehören zu  den wichtigsten Handelspartnern Argentiniens.

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Der Grund dafür dürfte mit seinen ideologischen Vorstellungen zusammenhängen – ein vom Staat gänzlich unkontrollierter, freier Markt ist in China nicht zu finden. Für mehr Kooperation mit der EU braucht Milei allerdings die Unterstützung aus der Mercosur, dem Wirtschaftszusammenschluss südamerikanischer Staaten, der zwar untereinander Handel treibt, aber global eher isoliert ist.

Das will Milei ändern: Er treibt das Mercosur-Abkommen massiv voran,  über das der Bund mit der EU  seit mehr als zwei Jahrzehnten verhandelt, aber nicht weiterkommt. In Südamerika fürchtet man  die Brüsseler Regulationswut bei Umweltauflagen, in der EU laufen die Bauern gegen das „Hormonfleisch“ aus dem Süden Sturm. 

In Davos präsentierte Milei seine Ideen so wortgewaltig wie zu Hause. Er rief alle Wirtschaftstreibenden dort auf, sich nicht „willenlos dem Staat auszuliefern.“ Ob er in Europa auch gehört wird, muss sich erst weisen.

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