Die gestohlene Wahl

Trump erklärt sich zum Wahlsieger, obwohl Hunderttausende Stimmen noch nicht ausgezählt sind. Nun will er sogar eine weitere Auszählung der abgegebenen Stimmen durch den Obersten Gerichtshof stoppen lassen.

Trump will US-Wahl stoppen

Die fröhlich-feierlich klingenden Fanfaren-Klänge, die Donald Trumps Auftritt im Weißen Haus gegen 2.20 Uhr am frühen Mittwochmorgen begleitete - sie waren trügerisch.

Während halb Amerika bereits im Bett lag und noch Hunderttausende Stimmen auf ihre Auszählung warteten, rief sich Trump vorzeitig zum Sieger der Präsidentschaftswahlen aus. „Wir haben diese Wahl gewonnen", behauptete er vor mehreren Hundert Gästen, und kündigte an, schon bald den Obersten Gerichtshof anzurufen. Mit dem Ziel, die noch laufende Auszählung von per Briefwahl eingegangenen Stimmzetteln in mehreren Bundesstaaten unterbinden zu lassen. Trump wörtlich: „Wir wollen, dass alle Stimmabgaben aufhören.”

Ohne konkret zu werden, beschuldigte Trump die Gegenseite um den demokratischen Herausforderer Joe Biden des Betruges. Amerika werde „beschämt” durch das, was geschehe, obwohl er, Trump, ein großen Sieg davongetragen habe.

Mit seiner Reaktion, die Trump bereits vor Tagen angekündigt hatte, wird die turbulenteste Präsidentschaftswahl seit Jahrzehnten in den USA vollends zur Schlammschlacht. Biden, der am frühen Morgen laut US-Medien mit mindestens 220 von 270 nötigen Wahlmänner-Stimmen im entscheidenden „electoral college” rechnen konnte (Trump: 210) hatte zwei Stunden zuvor den Gegen-Akzent gesetzt. 

Donald Trump kündigt Gang zum Obersten Gerichtshof an

Biden: "Es ist nicht vorbei, bevor die letzte Stimme ausgezählt ist"

In seinem Heimatort Wilmington ging der 77-Jährige vor seine Anhänger und erklärte: „Wir sind auf Kurs, diese Wahl zu gewinnen”. Der 77-jährige bat um Geduld. „Es ist nicht an mir oder Donald Trump, den Sieg zu erklären, sondern Sache des amerikanischen Volkes”, erklärte Biden und fügte hinzu: „Es ist nicht vorbei, bevor die letzte Stimme ausgezählt ist.”

Biden dachte dabei vor allem an die schwer umkämpften Bundesstaaten Wisconsin, Michigan und Pennsylvania, die zur Stunde noch nicht entschieden sind. Trump hatte das Trio 2016 mit knapp 80 000 Stimmen Vorsprung vor Hillary Clinton gewonnen und damit die Präsidentschaft errungen. Diesmal sind die drei Bundesstaaten (Stand: 10 Uhr MEZ) noch weit davon entfernt, komplett ausgezählt zu sein. Trump führte am Morgen zwar. Dabei waren Hunderttausende Briefwahlstimmen aber noch nicht berücksichtigt. 

Der Oberste Gerichtshof hatte Pennsylvania vor wenigen Tagen zum Verdruss von Trump gestattet, Stimmzettel noch bis zum 6. November auszuzählen. Vorausgesetzt, sie tragen den Poststempel 3.11.

Trump erkennt darin einen Betrugsversuch. „Wir sind weit vorne, aber sie versuchen, die Wahl zu stehlen”, schrieb der Präsident auf Twitter. Worauf der Onlinedienst die Anmerkung als irreführend bezeichnete und mit einem Warnhinweis versah.

Hintergrund: Viele Biden-Anhänger hatten wegen Ansteckungsrisiken in der Corona-Krise früh erklärt, per Briefwahl abstimmen zu wollen. Wähler von Trump wollten dagegen demonstrativ am Wahltag ihr Votum abgeben.Insgesamt erwarteten die Wahl-Experten eine Rekordbeteiligung in Richtung 150 Millionen plus x. Aber eine klare Vorentscheidung in wahlentscheidenden Bundesstaaten war in der Wahlnacht nicht gefallen.

Eine Frau mit Tränen in den Augen und einer Jacke mit Sternen und Streifen bedeckt ihr Gesicht.

Die Spannung ist nach wie vor auf ihrem Höhepunkt

Eine Katze sitzt auf der Schulter einer Person, die an einer Wahlmaschine wählt.

Barton wollte nicht ohne seiner Katze wählen. An einem derart historischen Tag soll der beste Freund natürlich dabei sein.

Eine Frau mit einer US-Flagge um die Schultern steht nachts auf der Straße.

Vor dem Weißen Haus

Joe Biden spricht mit einem Megafon vor einer Menschenmenge mit „Biden Harris“-Schildern.

Joe Biden war am Wahltag noch in Philadelphia, Pennsylvania unterwegs. Der Bundesstaat ist ein umkämpfter Swing State. 

Eine junge Demonstrantin hält ein Schild mit der Aufschrift „Biden Harris“ hoch.

Kind in Philadelphia 

Ein aufblasbarer Donald Trump als Baby steht vor einem Haus mit einem Biden-Wahlplakat.

Ein Riesen-Trump-Baby ziert den Vorgarten eines Biden-Anhängers in Los Angeles.

Während ein Erwachsener wählt, spielen zwei Kinder unter den Wahlkabinen.

Menschen stimmen ab in Kentucky.

Eine Frau mit einer Maske mit Lippenstiftmuster hält eine amerikanische Flagge hoch.

Sicherheitsmaßnahmen in Zeiten vom Corona im Wahllokal in San Diego, Kalifornien

Eine Person wirft einen „I Voted“-Aufkleber in eine Wahlurne.

"I voted"-Sticker-Übergabe in Las Vegas, Nevada

Menschen stehen vor einem Wahllokal Schlange, viele tragen Gesichtsmasken.

Lange Schlagen vor dem Wahllokal in Ferguson, Missouri

Kamala Harris spricht mit einem Mikrofon vor Wahlplakaten.

Kamala Harris, Bidens Vize-Kandidatin, ist am Wahltag in Michigan (ein Swing State) unterwegs. 

Eine Menschenmenge demonstriert vor dem Weißen Haus mit Schildern und Bannern.

Menschenmenge vor dem neuen Zaun vor dem Weißen Haus

Wahlhelfer zählen Stimmzettel bei der Präsidentschaftswahl 2020.

Stimmenauszählung in Florida

Donald Trump gestikuliert vor einer Menschenmenge.

Donald Trump in Virgina am Wahltag

Melania Trump mit Sonnenbrille und ärmellosem Kleid mit Kettenmuster.

Melania Trump gab ihre Stimme in Florida ab. 

Eine Person sitzt vor einer großen Leinwand, die Wahlergebnisse für Florida anzeigt.

Szene nahe dem Weißen Haus

Demonstranten halten ein Banner mit der Aufschrift „Remove Trump“ vor dem Weißen Haus.

Nahe dem Weißen Haus

Zwei Schilder weisen mit Pfeilen zu „Party“ und „Vote“ bei Buddy's.

Und danach? Party? Wählen? Oder wie war das gemeint?

Eine Person wählt in einer Wahlkabine mit amerikanischer Flagge.

Weniger edel ist man in einem Turnsaal in Bowie, Maryland. Die Stimme zählt gleich viel.

Wähler stehen in Wahlkabinen in einer Turnhalle, um ihre Stimme abzugeben.

Auch in Virginia wird die Wahl zum entscheidenden Match. Ein Wahllokal in einer Volksschule in Purcellvill.

Das Rathaus von Douglas im Abendlicht mit einigen Personen davor.

Wie ein Filmset sah hingegen das Wahllokal im Rathaus von Hampton, Minnesota, aus.

Personen wählen in Wahlkabinen in einem Raum mit einem mexikanischen Wandgemälde.

Auf den ersten Blick vielleicht prunkvoll, aber in Wahrheit nur ein Wahllokal in einem Restaurant in Chicago, Illinois.

Eine Gruppe von Musikern mit Masken spielt im Freien für die Kampagne „Play for the Vote“.

Eine Band ("Cisco & the Racecars") begleitete die Wähler vor der Burton Barr Central Bibliothek in Phoenix, Arizona, bei ihrer Bürgerpflicht.

Eine lange Schlange von Menschen mit Gesichtsmasken wartet im Freien.

Niemand untermalte die stundenlange Wartezeit dieser Wähler in Union, Kentucky, mit schönen Klängen. 

Eine lange Schlange von Menschen wartet auf einem Rasen unter freiem Himmel.

In Oklahoma City scheinte wenigstens die Sonne beim - coronagerechten - Anstellen.

Eine Frau mit Maske gibt ihre Stimme in einer Wahlkabine mit amerikanischer Flagge ab.

In Des Moines, Iowa, hielt man sich streng an die Pandemie-Regeln

Eine Person mit Hut wählt in einer Wahlkabine.

Stilgerecht die Stimme abgeben: im Pantages Theatre in Los Angeles, Kalifornien.

Ein Mann mit einer Maske mit der Aufschrift „Vote“ sitzt an einem Tisch mit einem Laptop und einem Schild, das zum Wählen auffordert.

Und in Atlanta, Georgia, hielten ebenfalls Theater als Wahllokale her.

Ein Mann mit Maske füllt einen Wahlzettel für die US-Wahl 2020 aus.

Die 12 Einwohner von Dixville Notch in New Hampshire waren die ersten am Wahltag. Dort begann traditionell die Mitternachts-Wahl.

Eine Gruppe von Menschen demonstriert mit Trump-Flaggen und einem Bild von Trump als Rambo.

Trump-Fans

Ein Mann mit einem Hut trägt eine Maske mit der Aufschrift „Vote“.

"Wählt", schlug dieser für die Wahl zuständige Richter mit seinem Mundschutz vor. Viele nahmen es sich zu Herzen. Die Beteiligung dürfte Rekorde sprengen.

Joe Biden mit Maske vor einem farbenfrohen Gemälde mit erhobenen Fäusten und Handabdrücken.

Joe Biden stezte auf die Kritiker von Trump und schaffte es, viele von ihnen zu Mobilisieren.

Joe Biden mit Sonnenbrille und Maske hält ein Megafon.

Mit Mundschutz und Megaphon zog der Ex-Vize-Präsident am Wahltag los.

Donald Trump spricht vor einer Menschenmenge mit „Make America Great Again“-Schildern.

Nicht nur abgegeben hatte er seine Stimme, sondern auch verloren. Heiser trat er am Wahltag vor Parteifreunden auf.

Eine ältere Frau mit Brille und Maske liest einen Wahlzettel mit blauen Handschuhen.

Zählen, zählen, zählen... die eigentliche Arbeit begann - wie immer - nach der Wahl.

Dagegen lässt sich konstatieren: Die deutlichen Umfragen-Vorteile für Biden aus den vergangenen Wochen sind fast komplett zerronnen. Trump entschied Schlüssel-Staaten wie Florida, Texas, Ohio und Iowa für sich. Für Trump war Florida fast ein Muss. Sonst wären seine möglichen Pfade zum Sieg schon früh am Abend eng geworden. Hätte Joe Biden hier zu vergebenden 29 Wahlmänner-Stimmen geholt, wäre es für ihn ein großer Schritt auf dem Weg ins Oval Office gewesen.

Bis dato kann Trump laut US-Medien unter anderem auf Siege in Alabama, Arkansas, Indiana, Kansas, Kentucky, Louisiana, Mississippi, Missouri, Nebraska, North Dakota, Oklahoma, South Carolina, South Dakota, Tennessee, Utah, West Virginia und Wyoming bauen. Joe Biden hatte dagegen in Arizona, Colorado, Connecticut, Delaware, Illinois, Maryland, Massachusetts, New Hampshire, New Jersey, New Mexico, New York, Rhode Island, Vermont, Virginia sowie im Hauptstadtbezirk District of Columbia die Nase vorn. Auf einen Nenner gebracht: Alles Pflichtsiege. Beziehungsweise traditionell erwartete Niederlagen. Bis auf Arizona. Bidens Erfolg im umkämpften Südstaat wurde in seiner Wahlkampagne als „wichtiger Energieschub” empfunden.

Dagegen stehen Trends, die den Demokraten schmerzen: Joe Biden hinkt in der wichtigen Wählergruppe der Latinos teilweise hinter den Ergebnissen von Clinton hinterher, kein gutes Signal für ihn. In Florida konnte Amtsinhaber Donald Trump seine Werte bei Hispanics vor allem kubanischer Herkunft verbessern. Landesweit haben Latinos älterer Jahrgänge zu 40 % Trump gewählt, berichtete das Meinungsforschungsinstitut Edison, vor vier Jahren waren es 25 %.

Trumps Kalkül, seinen Gegner mit persönlichen und auf die Familie zielenden Verleumdungen herabzuwürdigen und als gefährlichen Sozialisten zu charakterisieren, hat nach vorläufigen Einschätzungen nicht gezogen. Erste Umfragen belegen, dass die Coronavirus-Pandemie und die darum am Boden liegende Wirtschaft mit zwölf Millionen Arbeitslosen und knapp 100 000 bankrott gegangenen kleinen und mittleren Unternehmen das wichtigste Thema für die allermeisten Wähler ist. Mehr noch. Bei Nachwahl-Befragungen erklärten vier von zehn Wählern, die Regierung mache in der Corona-Krise einen schlechten Job. Potenziell noch ungünstiger für Trump, der die gegenteilige Strategie verfolgt: Fünf von zehn Wählern erklärten, das die Eindämmung der Pandemie Priorität haben müsse - auch wenn die Wirtschaft darunter leide.

Weitere Facetten des bisherigen Wahlverlaufs: Auf dem Weg zu einer möglichen Mehrheit im Senat haben die Demokraten einen Schritt vor und einen zurück getan. Im Bundesstaat Colorado nahm der Demokrat John Hickenlooper dem Republikaner Cory Gardner den Sitz ab. In Alabama unterlag der Demokrat Doug Jones seinem republikanischen Herausforderer Tommy Tuberville. Mit Mitch McConnell (Kentucky) und Lindsey Graham (South Carolina) haben zwei wichtige republikanische Senatoren und Trump-Vertraute ihr politisches Überleben gesichert. Und: Die Mehrheit der Demokraten im Repräsentantenhaus bleibt erwartungsgemäß unangetastet.

Angefangen hat der Tag der Tage verhalten. Weil bereits 100 Millionen Amerikaner in den vergangenen Wochen von Briefwahl oder vorgezogener Stimmabgabe Gebrauch gemacht hatten, sah es vor vielen Wahllokalen so aus wie vor der Blair Highschool in Silver Spring vor den Toren Washingtons. „Es ist sehr ruhig und unauffällig”, sagte der demokratische Kreis-Abgeordnete Will Jawando. Besondere Vorkommnisse? Wähler-Einschüchterung durch rabiate Trump-Anhänger? „Bei uns überhaupt nicht.” Am Weißen Haus, wo Demonstranten die Abwahl Trumps forderten, herrschte beinahe ausgelassene Woodstock-Stimmung; ohne Gewalt.

Die Hauptdarsteller des letzten Kapitels eines zermürbenden Wahlkampfes, der 2019 begonnen hatte, setzten tagsüber unterschiedliche Akzente. Donald Trump, stimmlich hörbar angeschlagen, fuhr ins Hauptquartier seiner Wahlkampagne in Arlington, um sich zu bedanken und stimmte nachdenkliche Töne an. „Gewinnen ist leicht”, sagte Trump, „verlieren ist nie leicht. Nicht für mich.”

Joe Biden schwelgte unterdessen in Nostalgie. In Scranton/Pennsylvania  stattet er dem Haus seiner Kindheit eine Visite ab. Hunderte Anhänger empfingen ihn mit Jubel. Der 77-Jährige bedankte sich mit Polit-Poesie: „Wir wählen Hoffnung statt Angst. Wir wählen die Wahrheit statt Lügen. Wir wählen Wissenschaft statt Fiktion.” Im Wohnzimmer des bescheidenen Anwesens hinterließ der Alt-Vizepräsident mit einem Stift eine Botschaft an der Wand: „Aus diesem Haus ins Weiße Haus mit der Gnade Gottes. Joe Biden 3.” Wenn es nach Donald Trump geht, wird es nichts mit dem Umzug an die Pennsylvania Avenue.

 

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