Die jungen Kosovaren wollen für einen "neuen" Kosovo stimmen

Children play football near some electoral campaign billboard in Pristina, Kosovo
Parlamentswahlen im jüngsten Land Europas. Zum fünften Mal in 13 Jahren werden die Kosovaren zu den Urnen gebeten. Junge und Ausgewanderte bestimmen den Ausgang.

Seit seiner Unabhängigkeit im Jahr 2008 hat der Kosovo fünf Regierungen gehabt. Keine davon hat es bis zum Ende der Legislaturperiode von vier Jahren durchgehalten. Am kürzesten hielt die vorletzte: Albin Kurti war nur 50 Tage Premierminister. Jetzt wird in dem jungen Staat schon wieder gewählt – um die dritte Regierung in knapp mehr als einem Jahr zu finden.

In diesem einen Jahr ist viel passiert.

Im Oktober 2019 gewann die populäre links-nationalistische Bewegung Vetëvendosje (VV) die Wahlen. Sie bildete eine Koalition mit der liberal-konservativen LDK. Premierminister wurde der charismatische VV-Parteichef Albin Kurti.

Während der Corona-Krise stürzte das Land in eine politische Krise. Die gerade gebildete Koalition zerbrach im März an Fragen des Pandemie-Managements und des Dialoges mit Serbien. Die USA spielten dabei eine Entscheidende Rolle, indem sie auf die LDK Druck machten, die Koalition aufzulösen. 

Erdrutschsieg erwartet

Nach dem Bruch formierte sich eine neue Regierungskoalition unter Premier Avdulla Hoti (LDK) – ohne Wahlsieger Vetëvendosje. Laut Umfragen wird die junge Bewegung aber auch diesmal vorne liegen. Wohl deutlich höher als zuletzt 2019, als sie mit 26 Prozent knapp vor der LDK lag.

Die große Frage wird sein, ob Albin Kurti – sollte er die unwahrscheinliche absolute Mehrheit nicht erreichen – imstande sein wird, eine Koalition zu bilden. Und zwar eine, die lange hält. Denn das wäre, da sind sich die Experten einig, wichtig für Land und Region.

Viel Enttäuschung, viel Optimismus

Die Themen waren vorgegeben: Korruptionsbekämpfung, Pandemie, wirtschaftlicher Aufschwung, höhere Löhne. Im Zentrum des Wahlkampfs standen allerdings nicht die Wahlprogramme der Parteien, sondern das Gefühl von Neuanfang. Die jungen Kosovaren und Kosovarinnen haben die bisherige politische Elite satt, die Themen der „älteren“ Parteien sind nicht die Ihren. Mehr als die Hälfte der Unter-25-Jährigen ist arbeitslos. Sie sind enttäuscht von der Stagnation in so vielen Bereichen (Wirtschaft, EU-Annäherung, Reisefreiheit, Bildung).

Und sie sind viele. Mit einem Durchschnittsalter von 29 Jahren ist der Kosovo das jüngste Land Europas.

„Im Kosovo wurden in den vergangenen Jahren viele Erwartungen enttäuscht“, sagte Politologe Bekim Baliqi in einem vom Österreichischen Institut für internationale Politik veranstalteten Online-Diskussion vergangene Woche. Seit Jahren warten sie vergeblich auf das visafreie Reisen in die EU. Sie fühlen sich gebremst von einem stockenden Dialog mit Serbien. Sie wollen arbeiten, sie wollen reisen, sie wollen im Ausland leben. Doch die Perspektiven sind begrenzt.

Die Jungen im Kosovo bleiben aber selbstbewusst und optimistisch. Heute, bei den Parlamentswahlen, könnten sie eine entscheidende Rolle spielen.  

Teil der Entscheidung im Ausland

Nicht nur die Jungen, auch die Diaspora wird nach Ansicht der Experten einen entscheidenden Faktor bei der Wahl am Sonntag bilden. Während im Kosovo knapp zwei Millionen Menschen leben, sind rund 800.000 Kosovaren im Ausland gemeldet. Sie haben einen großen Anteil am Leben im Kosovo. Nicht nur familiäre Verbindungen, auch wirtschaftliche: Das Geld, das sie „nachhause“ schicken, macht fast ein Fünftel der Wirtschaftsleistung des Kosovo aus.

Jetzt wollen sie offenbar auch politisch mitreden. Mehr als 100.000 Stimmberechtigte registrierten sich von anderen Ländern aus. Mehr als je zuvor. Bei der letzten Wahl waren es nicht einmal halb so viele. Die Wahl wird nicht allein im Kosovo entschieden, sondern auch in der Schweiz, Österreich, Deutschland.

Keine Zeit für Spielchen

Sie kann „die Frustration der Jungen gut verstehen“, sagt Viola von Cramon. Die deutsche Grüne ist Berichterstatterin für den Kosovo im EU-Parlament. Sie hofft aber auf ein „hohes Maß an politischer Kompromissfähigkeit“ nach den Wahlen.

Diese wird wichtig sein. Denn der Wahlausgang ist erst der erste Teil des Puzzles. Entscheidend wird danach, ob die Parteien fähig sind, eine möglichst breite und stabile Koalition auf die Beine zu stellen. Bis Ende März muss das Parlament einen Präsidenten oder eine Präsidentin bestimmen. Finden die Abgeordneten keinen Kompromiss, stehen wieder Neuwahlen an. Die sechsten Wahlen innerhalb von 13 Jahren.

Kommentare