Der Kampf um Land: Wie die Siedler Israels Regierung spalten
Ein palästinensischer Mann steht nach einem israelischen Luftangriff in der Nacht zum 15. August 2024 im Flüchtlingslager Balata östlich von Nablus im besetzten Westjordanland hinter einem von Kugeln zerfetzten Fenster.
"Alle waren schwarz gekleidet, vermummt und bewaffnet", so ein Augenzeuge, "das war alles andere als spontan." Im Schutz der Dunkelheit stürmten in der Nacht zum Freitag an die 100 meist jugendliche Angreifer aus umliegenden israelischen Siedlungen das palästinensische Dorf Dschiet unweit Nablus. Als die Dorfbewohner sich und ihr Eigentum verteidigen wollen, fallen Schüsse. Ein Palästinenser wird getötet, ein weiterer schwer verletzt. Mit Benzin setzten die Angreifer vier Häuser und sechs Autos in Brand. Die Armee kam nach einer Stunde. Die Polizei noch später. Es kam zu einer Festnahme.
Kein Einzelfall: Allein in der Woche zuvor gab es neun protokollierte Angriffe dieser Art auf palästinensische Dörfer. Diesmal kamen die Angreifer aus der benachbarten Gilead-Farm und aus Jizhar. Siedlungen, die teilweise auch nach israelischem Maßstab illegal sind. So geht es seit Jahren. In den letzten Kriegsmonaten entlädt sich die Gewalt immer heftiger und häufiger. Der Vorsitzende des Siedlerrates Samaria, Jossi Dagan, beteuerte am Freitag, alle Angreifer seien kriminelle Jugendliche aus dem israelischen Kernland.
Doch nicht einmal Premier Benjamin Netanjahu glaubt ihm. "So etwas kann die gesamte Siedlungsarbeit und so den ganzen Staat Israel gefährden." Ihm geht es um das weltweite Image Israels. Die USA und die EU haben in den letzten Wochen Sanktionen gegen bekannte Siedlungsaktivisten verhängt, sowie gegen den rechtsextremen und für den Siedlungsbau zuständigen Finanzminister Bezalel Smotrich. Um ganz Israel geht es aber auch der "wilden Bergjugend". Sie wollen Israel zerstören und stattdessen eine klerikale Diktatur, das Königreich Judäa. Den Krieg im Gazastreifen sehen sie als apokalyptisches Werkzeug.
Armee ist Extremisten "zu lasch"
Im Kabinett kam es am Donnerstagabend zu Verurteilungen des Angriffs quer durch das gesamte Koalitionsbeet. Sogar die extremsten unter den Ministern "verurteilten, sahen die Armee jedoch als Verursacher der Gewalt. Ihr lascher Kampf gegen palästinensische Gewalt provoziere die Siedler zu solchen Straftaten.
Dabei saß das Kabinett eigentlich zusammen, um die Verhandlungen um einen Austausch der israelischen Geiseln in Hamas-Kerkern mit verurteilten Terroristen der islamistischen Hamas zu besprechen. Netanjahu gab seinen Unterhändlern diesmal ein erweitertes Verhandlungsmandat mit auf den Weg nach Doha. Zusammen mit den USA, Ägypten und Katar wollen sie ein Abkommen aushandeln, das mit dem Geiselaustausch eine Kampfpause und letztlich Kampfeinstellung bringen soll. Mehr noch: Die USA wollen so ihr in den letzten Jahren entstandenes Verteidigungsbündnis am Golf weiter ausbauen. Israel, zusammen mit den Golfstaaten und Saudi-Arabien.
Ein Mann neben verbrannten Autos zeigt auf die Schäden in seinem Haus, einen Tag nach einem Angriff jüdischer Siedler auf das Dorf Jit in der Nähe von Nablus im besetzten Westjordanland.
Druck auf Netanjahu
Der US-Druck auf Netanjahu ist daher enorm: Sie beschuldigen ihn, immer wieder ein Abkommen durch zusätzliche Forderungen zu verzögern. Aus Doha wird eine optimistische Stimmung gemeldet. Die Gespräche wurden um einen Tag verlängert. Doch Netanjahu beharrt weiter auf die militärische Präsenz Israels an der Südgrenze und im Mittelbereich des Gazastreifens auch nach Kriegsende. Obwohl Israels Sicherheitsapparat eine solche Präsenz für verzichtbar hält.
Unter Druck und im Dilemma steht auch Hamas-Chef Jechije Sinwar. Militärisch ist seine Organisation am Ende. Seine Kommandeure brauchen den Waffenstillstand wie Luft zum Atmen. Doch nach der gezielten Tötung mehrerer Generäle und Politiker durch Israels Geheimdienst im Libanon und Teheran hat sich die Gefahr eines Nahost-Krieges wieder verstärkt. Es wäre die Apokalypse, die auch Sinwar mit seinem Überfall auf Südisrael am 7. Oktober 2023 mit der Ermordung von 1.200 Menschen anfachen wollte. Bislang vergeblich.
Vorsichtiger Optimismus?
Ein regionaler Krieg, wie ihn auch die libanesische Schiitenmiliz Hisbollah und ihre Patrone in Teheran nicht wollen. Aus Doha kommen Signale, dass die Hisbollah wie auch die iranischen Revolutionsgarden mit ihrem angekündigten Vergeltungsschlag bis nach den Geisel-Verhandlungen warten wollen, was bei einer Einigung zwischen Hamas und Israel auch die Angriffe der Hisbollah auf Nordisrael beenden kann.
Israels Regierung nahm den vorsichtigen Optimismus aus Doha in der Nacht zum Freitag zur Kenntnis. Und reagierte mit vorsichtigem Pessimismus. Besprochen wurde auch ein urplötzlicher Angriff mit Raketen aus allen Himmelsrichtungen noch in den nächsten Tagen. "Auch darauf sind wir vorbereitet", hieß es in Jerusalem. Eine Verlautbarung, wie sie auch am 6. Oktober 2023 zu erwarten gewesen wäre.
Kommentare