Die ewige Konkurrentin
In der Geschichte von Merz gibt es eine zweite Hauptfigur, eine ewige Konkurrentin, bis zu deren Abgang es keinen Platz für Merz in der ersten Reihe gegeben hat: Alt-Kanzlerin Angela Merkel, die fast gleich alt ist, aber 16 Jahre Kanzlerschaft hinter sich hat.
"Es gab ein Problem, und zwar von Beginn an: Wir wollten beide Chef werden." So schreibt Merkel über Merz in ihrer unlängst veröffentlichten Autobiografie. Dass Merz "sehr enttäuscht" gewesen sei, als sie ihm 2002 den Fraktionsvorsitz wegschnappte – im Gegenzug hat sie auf eine Kanzlerkandidatur nach der CDU-Spendenaffäre verzichtet und der weniger beschädigten CSU mit Edmund Stoiber den Vortritt gelassen.
Damit war der Graben zwischen Merkel und Merz aufgebrochen. Merz verzog sich die hintere Reihe der Partei, auf die Seite der Kritiker, denen der Merkel-Kurs der CDU immer zu "progressiv", zu "links" gewesen ist – und die Merkel vorwarfen, mit ihrem Kurs der AfD Platz gemacht zu haben.
Seine konservative Prägung zeigt sich in seiner Biografie – Schützenverein, Junge Union, katholische Studentenverbindung und großbürgerliches Juristen-Elternhaus – und in seinen politischen Positionen. Das wohl am häufigsten zitierte Beispiel: Als Merz 1997 gegen die Aufnahme der Vergewaltigung in der Ehe ins Strafgesetzbuch stimmte. Das Outing des einstigen Berliner SPD-Bürgermeisters Klaus Wowereit kommentierte er 2001 gegenüber der Bunte mit "Solange er sich mir nicht nähert, ist mir das egal!"
Zeitweise kehrte Merz unter Merkel der Politik sogar komplett den Rücken, um in der Wirtschaft als Anwalt und Aufsichtsratsvorsitzender bei der deutschen Tochterfirma des weltweit größten Vermögensverwalters Blackrock gut Geld zu verdienen. Etwas, das bis heute sein Image prägt. Dass er mit seinem Privatflieger zur Hochzeit von FDP-Chef Christian Lindner nach Sylt flog, tat dem keinen Abbruch.
Seine Rückkehr in die Politik kam 2018, als Merkel ihren Abtritt als Kanzlerin ankündigte. Er brauchte jedoch drei Anläufe, bis er es an die Parteispitze schaffte: Erst nachdem die CDU mit dem zum falschen Zeitpunkt lachenden Armin Laschet ihr historisch schlechtestes Bundestagswahlergebnis einfuhr, wurde er tatsächlich Parteichef.
Staatsmännisch statt cholerisch
Doch es waren nicht nur die ideologischen Unterschiede, die Merz unter Merkel lange ins Abseits stellten: Der pünktliche, höfliche Sauerländer gilt genauso als kühl, cholerisch, unberechenbar, herablassend und nachtragend. Keine idealen Voraussetzungen, um eine Partei hinter sich zu einen.
Dazu kommen ungeschickte Wortmeldungen, die Merz über die Lippen kommen, und selbst Parteikollegen zusetzen: Ukrainischen Geflüchteten unterstellte er "Sozialtourismus"; über Asylbewerber sagte er, sie würden deutschen Bürgern die Termine beim Zahnarzt wegnehmen. "Aus dem Zusammenhang gerissen", so rechtfertigt sich Merz stets nach Kritik.
Auch das hat sich im Laufe der vergangenen Monate geändert: Merz versucht, sich betont staatsmännisch zu geben, sowohl national als auch international, etwa indem er wiederholt in die Ukraine reist, und Wolodimir Selenskijs Deutschlands Unterstützung zusichert. Der CDU wird nachgesagt, zusammenzurücken, sobald sie Erfolg wittert. Das Versagen der Ampel, die Chance auf eine Rückkehr an die Macht, hat selbst Merkel-Anhänger, die es in der Partei nach wie vor gibt, und mittlerweile auch Querschüsse aus Bayern verstummen lassen. Das förderte Merz‘ Wandel zusätzlich: Fühlt er sich in seiner Autorität respektiert, gibt es auch keinen Grund für Wutausbrüche und wildes Umsichschlagen.
Zu konservativ für junge Frauen?
Doch genau diese stabil konservative Ausrichtung seiner CDU könnte sich für Merz noch zum Problem werden: Seit fast zwei Jahren hält sich die Union in den Umfragen stabil bei rund 30 Prozent, plus minus ein paar Prozentpunkte. "35 Prozent und mehr", hatte Merz der CDU im Sommer noch beschworen. Doch es sind vor allem jene Wählergruppen, die Merkel einst zur CDU gelockt hatte, (junge) Frauen und Akademiker, denen die CDU derzeit zu konservativ ist. Merz weiß um seinen Fehler – "ich würde heute anders abstimmen", sagte er erst im November über seine einstige Position zu Vergewaltigung in der Ehe.
Dem ZDF-Politikbarometer zufolge trauen ihm 40 Prozent zu, er könne "Kanzler", 55 Prozent sagen nein. Zum Vergleich: Olaf Scholz halten laut Umfrage 31 Prozent (nein: 65 Prozent) für geeignet.
Und seine ewige Konkurrentin Angela Merkel, traut die Merz die Kanzlerschaft zu? Sie gönne ihm die Kandidatur, sagt Merkel im Spiegel-Interview. "Wer so weit gekommen ist, muss über irgendwelche Eigenschaften verfügen, die ihn dazu befähigen. Man wird nicht ohne Grund Kanzlerkandidat."
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