Schluss mit Merkel-Kurs
Unter Angela Merkel verschwand der Begriff in der Schublade. Nach dem Abtritt der Kanzlerin holte ihn Merz wieder hervor und verpackte ihn in ein konservativ ausgerichtetes Grundsatzprogramm, das die CDU bei der Bundestagswahl 2025 zurück in die Regierung bringen soll. Zwei Jahre wurde daran gefeilt, federführend war der CDU-Generalsekretär und Merz-Anhänger Carsten Linnemann. Beim heute startenden, dreitägigen CDU-Parteitag in Berlin soll darüber abgestimmt werden.
Das Programm fordert Asylverfahren in Drittstaaten, eine Kehrtwende beim Atomausstieg, eine Beibehaltung der Schuldenbremse – und eine Leitkultur. "Damit findet die Ära Merkel ein offizielles Ende“, sagt der Politikwissenschafter Albrecht von Lucke von den Blättern für deutsche und internationale Politik. Das Programm stehe "für konservative Akzente, nach denen sich die Partei lange gesehnt hat".
Doch was ist sie jetzt genau, die Leitkultur? "Grundlage unserer Politik ist das christliche Menschenbild", "jeder Mensch soll frei und selbstbestimmt leben können", "wir sind christlich sozial, liberal und konservativ, wir bejahen Vielfalt" – so steht es in der Zusammenfassung des Grundsatzprogramms. "Recht vage, blutleer und diffus", urteilt die FAZ – "wie etwas, dem sich möglichst viele zugehörig fühlen können."
Einzelne Absätze des Entwurfs sorgten zuletzt für Schlagzeilen, wurden als fremden- und vor allem islamfeindlich kritisiert: Aus "Muslime, die unsere Werte teilen, gehören zu Deutschland" wurde nach Kritik vom Zentralrat der Muslime zu "Ein Islam, der unsere Werte nicht teilt und unsere freiheitliche Gesellschaft ablehnt, gehört nicht zu Deutschland."
Weitere Zutaten der Merz’schen Leitkultur: die Achtung der Menschenwürde, der Grund- und Menschenrechte, des Rechtsstaats – eigentlich allesamt Prinzipien, die schon im Grundgesetz verankert sind. Nach dem 7. Oktober wurde auch die Anerkennung des Existenzrechts Israels hinzugefügt.
Parteiinterne Spaltung
Der Begriff Leitkultur spaltet seit jeher die Christdemokraten. Vor allem die "Merkelianer" stellten sich gegen die Debatte. Dennoch wird von ihnen beim Parteitag wenig Protest erwartet. Die Union liegt in allen Umfragen stabil bei 30 Prozent, das will man sich durch interne Streitigkeiten nicht kaputt machen. Auch deswegen dürfte Merz bei seiner Wiederwahl als Parteivorsitzender ein gutes Ergebnis einfahren.
"Ob das Programm allerdings das Zeug hat, die CDU zusammenzuschweißen, steht auf einem anderen Blatt", sagt von Lucke. Denn Merz, so der Politologe, habe nicht das Problem, als zu wenig konservativ gesehen zu werden – im Gegenteil: "Genau dieses neue, scharfe Profil der Partei könnte mit Blick auf die Bundestagswahl ein Problem werden. Während sein Image in der Partei positiv ist, ist es außerhalb, vor allem bei Frauen, eindeutig negativ."
Von Lucke beruft sich auf eine Umfrage der FAZ: Der zufolge halten 61 Prozent der Befragten Merz nicht für kanzlergeeignet, aber nur 36 Prozent sprechen sich gegen einen seiner Hauptkonkurrenten, den liberaleren Ministerpräsidenten aus Nordrhein-Westfalen, Hendrik Wüst, aus.
Grund für Debatten am Parteitag gebe es jedenfalls zur Genüge: Wüst warb zuletzt in der Welt für eine Koalition mit den Grünen im Bund. Merz-Anhänger Linnemann konterte in der Bild, die Grünen seien jene Ampel-Partei, die derzeit am weitesten von der CDU entfernt sei. Und der CDU-Ministerpräsident aus Schleswig-Holstein Daniel Günther traute sich doch glatt zu fordern, seine Partei solle sich wieder stärker an der Politik Merkels orientieren.
Die Alt-Kanzlerin hat laut Welt übrigens eine Einladung zum Parteitag ausgeschlagen. Sie nehme nicht mehr am "politischen Alltagsgeschäft teil", heißt es. Zum Grundsatzprogramm und zur Debatte um die Leitkultur hat sich Merkel nie geäußert. Doch man erinnert sich an ihr Zitat: "Mal bin ich liberal, mal bin ich konservativ, mal bin ich christlich-sozial."
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