"Die Partei hat eine Sehnsucht nach Klarheit", sagt Linnemann zum KURIER. Es brauche "eindeutige Unterscheidungen zu anderen Parteien." Soll heißen: Schluss mit halbherzigen Positionen, die man sich in den letzten Jahren aus koalitionsbedingten Kompromissen angeeignet hat. Die Partei scheint endgültig mit Merkel brechen zu wollen.
Linnemann spricht sicher und schnell, im Gespräch fallen Wörter wie "Zukunftsmelodie" und "Befreiungsschlag". Die Partei habe sich zu lange auf Personen ausgeruht, ihren Inhalt vernachlässigt. "Wenn das Fundament des Hauses nicht stimmt, muss man das Haus gar nicht erst bauen", sagt Linnemann. Fast könnte man meinen, er freue sich, dass seine Partei nach dem krachenden Absturz bei der Bundestagswahl in der Opposition gelandet ist. Da hat man Zeit für Selbstfindung.
Altbekanntes...
Vergangene Woche hat die CDU ihre Mitglieder befragt. Linnemann selbst sei überrascht gewesen, wie viel Zustimmung zu "bekannten" Positionen der CDU zurückgekommen sei: weniger finanzielle Unterstützung für sozial benachteiligte Familien, mehr individuell fordern; der Staat solle sparen, Innovationen fördern und eine aktive Rolle in der globalen Außenpolitik einnehmen. Wenn Linnemann so redet, klingt das alles ein bisschen flotter, moderner, ansprechender, nach Aufbruch und Modernität. Vielleicht ist es das, was die CDU braucht?
Drei Punkte seien ihm wichtig: „Dass die CDU immer vom Individuum ausgeht, nie vom Kollektiv. Dass die Politik immer nur die vorletzte Antwort geben kann, keine absoluten und endgültigen Wahrheiten. Und dass Subsidiarität und Solidarität Vorrang haben – im Sinne der Eigenverantwortung, und dass der Staat nur die unterstützt, die dieser nicht nach kommen können.“
... und klare Positionen
Zu abstrakt wolle man im neuen Grundsatzprogramm aber nicht bleiben, Linnemann fordert klare Positionen. Die hätten bei der letzten Bundestagswahl gefehlt, begründet Linnemann den Absturz der CDU (24,1 Prozent). Da gibt es sogar lobende Worte für den SPD-Kanzler: "Olaf Scholz hat einen erfolgreichen Wahlkampf geführt, weil er konkrete Ziele formuliert hat, etwa den 12-Euro-Mindestlohn. Diese Konkretheit hat uns gefehlt."
Ginge es nach Linnemann, wären solch "unverwechselbare Positionen" für die CDU ein Gesellschaftsjahr für junge Leute, eine Vorschulpflicht und eine Aktiv-Rente, bei der Pensionisten zuverdienen können. In der Zuspitzung der Positionen sieht der 45-Jährige den Weg zurück ins Kanzleramt: "Selbst wenn man als Wähler nur ein paar Forderungen einer Partei teilt, ist das besser, als hätte die Partei gar keine."
Albrecht von Lucke, Politologe der Blätter für deutsche und internationale Politik, stimmt dem grundsätzlich zu – betont jedoch, dass die CDU durch diese "Profilschärfung" Gefahr laufe, ihren Platz der Mitte zu verlieren: "Die CDU ist letztlich eine Sammelbewegung." Damit hat man auch lange die Wahlen gewonnen.
Keine "Programmpartei"
Generell sei die CDU keine "Programm-, sondern eine pragmatische Machtmaschine zur Organisation politischer Macht." Große Grundsatzprogramme hätten in der Partei keine Tradition, nicht einmal CDU-Begründer Konrad Adenauer hatte am Anfang eines.
Wie sehr sich die "neue" CDU von Merkel abgrenzt, wird sich erst nach "dem Haus Bauen" zeigen. Allzu absolut empfiehlt das von Lucke aber nicht. Dann könnte der Verlust der hart erkämpften Mitte drohen. Das scheinen aber auch die wirtschaftsliberalen Hardliner der CDU zu wissen: Zuletzt ließ die Partei mit dem Vorschlag aufhorchen, den Spitzensteuersatz zu erhöhen, um die Mitte zu entlasten. Friedrich Merz überraschte im Herbst mit seiner Befürwortung einer Frauenquote in der CDU.
Allgemein spiele die aktuelle "Zeitenwende" dem Neuanfang der CDU aber in die Karten: "Die Sehnsucht nach einem Zurück in die Ära Merkel ist in der Bevölkerung seit Beginn des russischen Angriffskrieges und der Debatte um ihre Ostpolitik nicht gewachsen. Das erleichtert den Neuanfang", so von Lucke.
Und Merkel selbst? Die hält sich aus der Debatte komplett raus. Zur Verleihung des Verdienstordens, die übrigens just auf den Tag fiel, an dem Linnemann die Ergebnisse der Mitglieder-Befragung präsentierte, waren weder er noch Merz noch ein anderes aktuelles Mitglied der CDU-Spitze geladen. Dafür Bundeskanzler Scholz und EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. Neben Merkel haben den Orden bisher übrigens nur zwei bekommen: Helmut Kohl und der programmlose Adenauer.
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